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berliner szenenWeiß ist also die Farbe der Saison

Ich sah von meinem Buch auf, um die Lärmquelle auszumachen. Sitzt man vor einem Gate im Flughafen, stellen sich zwei Fragen: Wie viele Kinder reisen mit? Und kennt man irgendwen? Die Antworten pendeln meistens zwischen vier (Kinder) und höchstens einer Person (halb prominent, kennt man irgendwie vom Sehen).

Direkt vor mir saß eine Gruppe junger Leute. Vier Frauen Anfang zwanzig, ein Typ. Was auffiel, waren das Dauergrinsen, das der Typ im Gesicht hatte, und die hellen, durchweg weißen Oberteile der Frauen: drei T-Shirts, eine Bluse. Weiß war also die Farbe der Saison. Wie bei Autos und Telefonen: Es schien nur noch Grau, Schwarz und Weiß zu geben. Obwohl, der Typ hatte ein stark blaues Polohemd an, das ihm gut stand. Sein Grinsen hörte nicht auf. Überhaupt gute Taktik, dachte ich: immer so leicht spöttisch wirken. Fühlt sich von innen gut an und sieht von außen gut aus.

Dann erkannte ich die Lärmquelle: ein Kleinkind, vielleicht ein Jahr alt, auf dem Arm eines jugendlich aussehenden Mannes mit Bart. Oh nein, der Vater war R.! Hoffentlich sah er mich nicht! Jetzt auch noch Smalltalk machen und ihm meine Begleitung vorführen – das war das Letzte, was ich wollte. Ich versteckte mich hinter meinem Buch. Zum Glück machte er sich mit Kind und Frau als Erstes daran einzuchecken.

Heikel wurde es im Flieger, als sich die Passagiere langsam in Richtung ihrer Sitzplätze schoben. Und ich musste an R. vorbei! Zum Glück schrie sein Kind – und ein Herr auf der anderen Seite des Gangs sah mich solidarisch an. Ich tat also so, als bemerkte ich R. gar nicht. Sein Kind hörte seltsamerweise zu schreien auf, als ich gerade an ihnen vorbei war.

Während des Flugs verhielt sich das Kind, wie es zu erwarten war: Es schrie, bis die normale Flughöhe erreicht wurde, dann war Ruhe. Nach der Landung gab ich ihnen genug Vorsprung. Die Welt war klein, aber ich war noch kleiner. René Hamann

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