Ideengewimmel

Aus dem Schriftstellerhirn des Autors Clemens J. Setz scheint es unaufhörlich zu sprudeln. In dem neuen Buch „Bot“ entwickeln seine Notizen ein literarisches Eigenleben

Der Autor. Nur wer ist Angelika Klammer? Foto: Céline Nieszawer/ Opale/laif

Von Ekkehard Knörer

Als Autor steht da, ziemlich groß sogar, auf dem Titel: Clemens J. Setz. Er wäre es, der sich im Untertitel die Autorschaft dann gleich wieder entzieht. „Gespräch ohne Autor“, so die eigentümliche Genreangabe. Der Titel des Buchs selbst lautet: „Bot“. Nicht genannt ist Angelika Klammer. Dabei hat sie, wenn stimmt, was im Vorwort steht, in diesem Gespräch nicht nur die Fragen gestellt. Sondern hat auch, mit Hilfe von Suchbefehlen, die „Antworten“, deren Urheber Clemens J. Setz ist, ausgewählt: eine literarische Found-footage-Methode. Das Arrangement wäre somit ganz ihres. Eigentlich ist „Bot“ also nicht ein Gespräch ohne Autor, sondern die Komposition einer Autorin.

Clemens J. Setz hat ein Vorwort geschrieben. Eigentlich, schreibt er, sei ein normales Werkstattgespräch geplant gewesen. Nur habe er keine vernünftigen Antworten zu geben verstanden. Darum stellte Klammer Fragen ans Werk. Falls eine riesige Sammlung von literarischem Halbzeug, nämlich von Aufzeichnungen und Notizen, die „Millionen von Zeichen“ umfasst, Teil eines Werks ist. Ein vom Autor geschriebener Text, der anstatt des Autors selbst Antworten gibt, die keine sind.

Das Ergebnis ist und ist nicht ein Gespräch. Angelika Klammer stellt Fragen, zu Gärten und Tieren, zu Glitches, Lieblingsautoren, zum „und“ und anderen Wörtern, zu Parkbänken und anderen Dingen, manchmal nur ein Zitat, einmal ein „eben“, da hatte sich gerade etwas wie eine annähernd sinnvolle Folge von Frage und Antwort ergeben. Die Antworten sind nicht bei Gelegenheit der Fragen verfasst, aber darum nicht wahllos gesetzt. Denn Angelika Klammer hat sie ja per Suchbefehl aus dem Notizkonvolutsetzbot ausgewählt und aus bloß nach Datum Sortiertem eine Antwort geformt. (Die Datumsangabe allerdings bleibt bei allen Notaten erhalten. So versteht man, dass die Katze, die eben schon tot war, jetzt wieder lebt.)

Wüsste man nicht ums Prinzip, würde man allerdings sagen: Der Autor ist ein bisschen verrückt. Er weicht geradezu obsessiv aus, schweift ab, kommt auf der Frage eher fernliegende Sachen, erzählt irgendwas, hat irgendwo was Interessantes gelesen, kosmische, tierische, sonstige Kuriosa und fait divers, er gibt Kurz- und Kürzestgeschichten zum Besten und Träume, ein Hölzchen hier, ein Stöckchen da, es findet sich Gereimtes und Ungereimtes, ein Sammelsurium, alles in Ton, Wahl, Weite der thematischen Obsessionen vom Autor vertraut. Es fehlt nur ein bindendes Band.

Nonseq-Gespräch

Aber das soll so sein. Und wer Setz gut will, oder böse, kann sagen: Das sich in Richtung Auflösung spannende Verweben von Dingen, das Erzählungen leisten, ist auch sonst nicht sein Ding. Setz findet was, manchmal wird daraus ein Tweet. Anderes wuchert und wird zum Riesenroman. Aber im Grunde sind auch seine Romane vom Willen zum Auseinanderstieben getrieben. Oder zum Häufen von Funden, zum Zusammenstehen eher als Zusammenhängen von aparten Gedanken und mit großer Wahrnehmungsschärfe beschriebenen Szenen. In „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ von 2015, ist von einer iPhone-App namens Nonseq die Rede, was von non sequitur kommt und „bedeutete, dass das eine nicht auf das andere folgte“. „Bot“ ist also einerseits ein Nonseq-Gespräch, bei dem zwar das eine auf das, aber nicht aus dem andere(n) folgt.

Schön freilich wäre, wenn auch der Zusammenstoß von Frage und Antwort Pointen ergäbe, sei es im zufälligen Zusammentreffen oder im gezielten Verfehlen

Das alles steht in mancherlei Tradition, oder lässt sich in sie stellen. Surrealistische Praktiken einerseits, bei denen sich Regenschirme und Nähtische zufällig auf dem Seziertisch begegnen. Oder Florilegien, literarische Tagebücher und Exzerptenhefte, für den späteren Werkgebrauch zusammengeschriebene Notatkonvolute: „Ideengewimmel“ hieß einmal ein aus dem Nachlass von Jean Pauls herausgegebener Band dieser Art. Vieles aus diesen Heften fand ins anders zusammenhängende, auf Narrative und Pointen gebrachte Erzählwerk.

Ähnlich beim Ideengewimmel von Setz, aus dessen Hirn es auf ähnlich unerschöpfliche Weise zu sprudeln scheint wie aus dem von Jean Paul. Der großartige kleine Essay zur „Pansilenz“ (einem in ein Handbuch literarischer Fachbegriffe geschmuggelten, bis dato gar nicht existenten Begriff) hatte es etwa schon ins Suhrkamp-Blog geschafft, anderes kennen bessere Setz-Kenner als ich vermutlich von hier oder da. Es sind viele schöne Dinge in „Bot“ und es gibt natürlich sehr wohl auch ein Autorsubjekt Clemens J. Setz, das sich nicht zuletzt über seine höchst eigenwilligen Objektwahlen konfiguriert. Mal genießt man dieses Subjekt, das seine Exzentrik genießt, mal genießt man das Genießerische an der Exzentrik auch wieder nicht.

Schön freilich wäre, wenn auch der Zusammenstoß von Frage und Antwort Pointen ergäbe, sei es im zufälligen Zusammentreffen oder im gezielten Verfehlen. Diese Pointen allerdings bleiben fast durchgehend aus. Das Findeverfahren per Dokumentsuchbefehl schlägt selten Funken. Woraus sich zuletzt doch die Rückfrage an die Fragen ergibt: Hat es sie wirklich gebraucht? Ist „Bot“ wirklich mehr als ein konzeptuell gepimptes Notatheft? Aber wissen Sie was: Fragen Sie doch Setz oder Bot! Fest steht, dass die Lektüre des Buchs allemal lohnt.

Clemens J. Setz: „Bot“. Suhrkamp, Berlin 2018, 166 Seiten, 20 Euro