: Habe Mut, dich deiner eigenen Hand zu bedienen!
Es gibt in der Küche ein Universalwerkzeug. Warum nur gerät es zunehmend in Vergessenheit?
Von Jörn Kabisch
Knoblauch muss ein ganz gefährliches Zeug sein. Es greift die Hände an, ist eventuell giftig oder sogar radioaktiv. Man sollte es auf alle Fälle nur mit spitzen Fingern anfassen.
Man muss sich nur ansehen, was zur Handhabung dieser offenbar toxischen Knolle so alles auf dem Markt ist. Die Werkzeuge gleichen zum Teil chirurgischen Instrumenten, die verhindern sollen, dass man mit den Zehen in Berührung kommt: Knoblauchpressen und -reiben, in allen möglichen Formen und Farben, mit ergonomischen Griffen aus Edelstahl, Aluminium oder Plastik – mit oder ohne Selbstreinigungsfunktion. Sogar eine Schälhilfe habe ich entdeckt – ein Silikonschlauch, sozusagen ein Knoblauchkondom. Man legt die Zehen ein, der Schlauch wird anschließend mit etwas Kraft auf dem Küchentisch hin und her gerollt, dann ist die Schale ab, so verspricht die Verpackung. Und die Hände bleiben sauber.
Das Knoblauchkondom gehört für mich in die gleiche Kategorie wie die Nudelpinzetten, Kräutermühlen oder jene Käsereiben, die man nach dem Gebrauch zerlegen und reinigen muss wie Bob Lee Swagger sein Gewehr, vielleicht noch elektrisch angetrieben und mit Lichtspot ausgestattet. Ich frage mich, warum halten wir solche Distanz zu den Sachen, mit denen wir kochen?
Mir begegnet das immer wieder, auch Fernsehköche berichten davon. Erboste Anrufe und Mails, wenn in der Glotze die Alfons Lafer-Mälzers ihre Zutaten mit der Hand in den Topf geben oder mit dem Finger in die Soße stippen. Technisches Gerät, sei es ganz banal ein Löffel oder sehr aufwendig, der Thermomix, scheint für viele Menschen das Nonplusultra zu sein, um die Küche in Schwung zu bringen.
Aber sehen wir uns die meisten Werkzeuge doch einmal an. Alles Verlängerungen unserer Gliedmaße. Der Löffel entspricht einer Hand, die zum Schöpfen geformt ist, die Gabel ist die Kopie der gespreizten Finger, die möglichst viel greifen wollen. Nur das Messer hat keine echte Entsprechung, na ja, vielleicht den Fingernagel.
Ich finde den Hinweis wichtig, um klarzumachen: Die wichtigsten Werkzeuge in der Küche sind: die Hände, die Hände und irgendwann: das Messer. Ich finde das nicht banal, gerade, wenn ich mir Erfindungen wie das Knoblauchkondom anschaue. Ich nehme in der Küche so oft wie möglich einfach nur die Hände zur Hand, wenn ich Essen zubereite.
Weil die Hände mir unheimlich viel mitteilen, oft ganz unbewusst. Sie erzählen mir, ob eine Karotte schon weich gelagert oder noch knackig ist, und unwillkürlich schält man sie anders. Bei einer frischen harten Karotte lässt sich die Schale manchmal abbürsten oder mit dem Messerrücken abrubbeln, bei der schon laschen Karotte benutze ich einen scharfen Sparschäler. Ich wüsste das nicht, wenn ich das Gemüse nicht in die Hand genommen hätte.
Es gibt unzählige Situationen, bei denen einem die Hände gute Dienste erweisen. Es gibt kein besseres Salatbesteck als die eigenen zehn Finger. Probieren Sie das mal aus. Es fallen viel weniger Salatblätter neben die Schüssel, wenn man mit den Händen mischt, und man kann gleichzeitig besser aufpassen, dass man nichts von den feinen Blättern zerdrückt, vor allem bei Blattsalaten oder jungem Spinat. Und die Hände melden viel besser als das Auge, ob die Vinaigrette reicht. Ich zerdrücke auch heiße Kartoffeln mit den Händen oder presse die Flüssigkeit aus Kohl oder Gurken, die ich für einen Salat vorher eingesalzen habe, damit sie Wasser ziehen.
Am besten aber, finde ich, sind die Hände als Pfannenheber. Das klingt zwar brandgefährlich, ist es aber nur auf den ersten Blick. Bei wie viel Grad ist zum Beispiel ein Steak richtig „medium“? Bei um die 60 Grad. Ziemlich wenig dafür, dass der Pfannenboden 200 Grad oder heißer ist. Wenn man die Finger vom Metall weglässt, wird das Hantieren in der Hitze also kontrollierbarer. Ich drehe mit einem schnellen Griff Steaks und Schnitzel in der Pfanne um, brauche einen Kochlöffel nur, um das Bratgut in der Pfanne zu lupfen, um die Distanz zum Pfannenboden zu halten.
Ich weiß, dass das Folgende nun etwas esoterisch klingt, meine es aber ganz sachlich nüchtern. Ist der Koch in Harmonie mit den Zutaten, dann wird das Essen besser. Sieht der Koch seine Zutaten nicht als Feinde, gegen die man Waffen einsetzen muss, sägezahnbewehrte Messer, Hochdruckpressen, Häcksler oder Öfen, die heiß sind wie flüssiges Pech, hat er mehr Zeit, sich dem Geschmack zu widmen. Rohe Gewalt nehmen Zutaten nur zu oft übel. Glauben Sie nicht?
Nur ein Beispiel: Nehmen Sie ein Bund Basilikum und hacken es mit einem scharfen Messer, geben dabei Parmesan hinzu, geröstete Pinienkerne, Knoblauch und grobes Meersalz. Hacken Sie immer weiter, wenn es Ihnen fein genug ist, vermischen Sie es mit Olivenöl. Es kommt vielleicht ein etwas gröberes Pesto heraus, aber es schmeckt aromatisch, leicht zitronig, der Knoblauch ist dezent, der Parmesan explodiert vielleicht noch fein salzig auf der Zunge.
Jetzt machen Sie das Gleiche mit dem Stabmixer. Man kommt nicht so ins Schwitzen, es geht schneller, aber auch nur, wenn man die Zeit vergisst, die es braucht, um die Apparatur zu spülen oder auch nur in die Spülmaschine zu stellen. Heraus kommt ein feines Püree, viel heller und es schmeckt ganz anders: ätherisch-scharf, aufdringlich, von der Zitronennote gibt es nur eine Erinnerung. Das handgemachte Pesto ist besser. Sie schmecken die paar Minuten mehr und die Energie, die Sie hineingesteckt haben, garantiert.
Um zum Knoblauch zurückzukommen: Greifen Sie doch mal eine rohe Zehe an, zerdrücken sie mit den Fingern. Nehmen Sie ein Messer und würfeln Sie den Knoblauch. Sehen Sie sich an, wie gut das aussieht, verglichen mit den matschigen Würmern aus der Presse. Zerteilen Sie die Zehen grob, streuen Sie etwas Salz darauf und zerquetschen sie mit der breiten Seite der Klinge. Schaben Sie mit Druck über das Schneidebrett, als wollten Sie das Messer schärfen. Es entsteht ein feines Mus. Nur eine Messerspitze davon bringt richtig Bums in Linsen- oder Kartoffelsalat.
Sie haben Angst, dass Ihre Finger nach so einer Aktion noch Tage stinken? Mit Recht. Aber dagegen gibt es ein Mittel: Edelstahl und Wasser. Wischen Sie mit nassen Fingern über die Innenseiten der Spüle. Oder durch einen Topf. Warum das den fiesen Geruch vertreibt, weiß auch die Wissenschaft nicht genau zu erklären. Aber es wirkt.
Wenn Sie das alles getan haben und Ihre Knoblauchpressensammlung noch immer behalten wollen, dann … kochen Sie halt einfach weiter mit dem Thermomix.
Dieser Text ist ein gekürztes Kapitel aus „Mit Herd und Seele“. Das Buch von Jörn Kabisch ist am 3. April bei Piper erschienen (18 Euro)
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