: Pfennigweise klug, talerweise dumm
Klaus Töpfer, Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, fordert auf dem Jahreskongress des Rates für Nachhaltige Entwicklung weitere Investitionen in den Kapitalstock Natur. Sonst sei auch der Kampf gegen die Armut nicht zu gewinnen
AUS BERLIN NICK REIMER
„Nach Volker Rühe war ich in der letzten CDU-Regierung derjenige, der am besten Englisch sprach.“ Das behauptet von sich Klaus Töpfer, der Helmut Kohl als Umweltminister diente. 1998 ging Töpfer als Chef das UN-Umweltprogramms Unep nach Nairobi. „Erst dort habe ich gemerkt, wie schlecht mein Englisch tatsächlich ist.“ Nicht nur das: „Auch mein Wissen über Umweltpolitik und globale Zusammenhänge erwies sich als ziemlich schlecht und provinziell.“
Gesagt hat Töpfer das gestern auf dem 5. Jahreskongress des Deutschen Nachhaltigkeits-Rates. „Wir werden die Millenniumsziele nur schaffen, wenn wir endlich beginnen, Wachstum mit Nachhaltigkeit zu vereinen“, so Töpfer. Viel zu viel würde ins Humankapital und ins Finanzkapital investiert, viel zu wenig ins Naturkapital. „Dabei bringen Investitionen in das Umweltkapital die eindeutig höchste Rendite“, so Töpfer.
Zum Beispiel Tsunami: „Überall dort, wo die Mangrovenwälder intakt waren, waren die Schäden weit weniger verheerend.“ Zum Beispiel China: „Der dortige Vizepremier hat mir erklärt, der größte Engpass für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist das Ökokapital.“
Zum Beispiel Deutschland: „Es ist lächerlich, dass Nachhaltigkeit, diese menschheitsentscheidende Frage, im Wahlkampf kein Thema sind“, sagte Volker Hauff, Vorsitzender des 19-köpfigen Nachhaltigkeitsrates. Den hatte Kanzler Schröder im April 2001 als regierungsamtliches Beratungsgremium ins Leben gerufen – sein erstes Mandat läuft bis 2006. Der akut hohe Ölpreis zum Beispiel sei „die Quittung für unterlassene Nachhaltigkeitspolitik“, so Hauff. Der rot-grünen Regierung bescheinigte der Ex-Axel-Springer-Lobbyist und Ex-Bundesverkehrsminister „viele gute Mosaiksteine“. Allerdings habe sie versäumt, daraus ein großes Bild zu machen.
„Man sollte nicht pfennigweise klug und talerweise dumm sein“, forderte auch Ex-Umweltminister Töpfer: Der Klimawandel sei keine Vision, er findet real statt. Töpfer erzählte von einer Reise in die Arktis: „Es ist keine Prognose, dass das Eis dünner wird. Nein: Das Eis wird dünner!“ Deshalb müsse jetzt die Energiewirtschaft umgebaut werden, jetzt müsse in Energieeffizienz, in Öko-Energien investiert werden. „Wir werden gar nicht umhin kommen, die Energiewirtschaft so kohlendioxidarm wie möglich zu bekommen“, so der CDU-Politiker. Allein aus ökonomischer Sicht: 1 Prozent Wachstum entsprechen 1 Prozent mehr Energienachfrage. Dies über fossile Energieträger zu bewältigen, brächte schwere Verwerfungen mit sich.
Ein Projekt des Deutschen Nachhaltigkeitsrates heißt BRIGCS+G. Nach den Anfangsbuchstaben: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika vereint das Kürzel nicht nur die Hälfte der Weltbevölkerung, sondern auch die weltweit rasanteste Konjunktur. „Wachsen die Länder auch nur annähernd so weiter wie bisher, werden sie in 20 Jahren die Wirtschaftskraft der USA und der EU zusammen überholt haben“, so Franziska Donner von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. „Germany“ hat die BRIGCS-Staaten an einen Tisch geholt – deshalb BRIGCS+G –, um gemeinsam nachzudenken, wie man diese rasante Entwicklung nachhaltig, also ressourcenschonend machen kann. Allein China will sein Bruttosozialprodukt bis 2020 vervierfachen.
„Klar ist, dass derzeit viel mehr aus dem Kapitalstock Natur rausgezogen als reinvestiert wird“, so Klaus Töpfer. Das habe dazu geführt, dass weltweit 60 Prozent der Leistungen des Öko-Kapitals versiegt sind. Diese Form von Verschuldung sei in Zeiten strenger Maastricht-Kriterien grotesk, sagte Töpfer: „Wir brauchen einen Stabilitäts- und Wachstumspakt für das Umweltkapital.“ Wer natürliche Ressourcen übermäßig beanspruche, müsse nachweisen, dass er wieder in die Natur investiere. „Wenn wir den Trend nicht umkehren, werden wir den Kampf gegen die Armut verlieren.“