Daniél Kretschmar über Liebe, Sex und Sozialismus im DDR-Museum
: Auf Papier überlebende Erinnerung an Schmetterlinge im Bauch

Sex sells, vor allem dann, wenn er kostenfrei daherkommt. Vielleicht ist das die Idee hinter den 26 frei zugänglichen Wandvitrinen gleich neben der Kasse des DDR-Museums, die unter dem Titel „Liebe, Sex und Sozialismus“ einen kleinen Einblick ins Privateste des Arbeiter-und-Bauern-Staates verspricht. Getreu der Tradition des Museums, das bar ideologischer Aufgeladenheit, mehr archivarisch als historiografisch eine liebevoll zusammengestellte Objektschau präsentiert, enthält sich auch diese Sonderausstellung welterklärender Kommentare. Die gezeigten Exponate repräsentieren einen vielleicht etwas eiligen Querschnitt durch irgendwie dem Thema zuzuordnende Gebrauchsgegenstände. Kondome und Antibabypillen, dazu ein bisschen verschämte Alltagspornografie, wie ein Daumenkino, FKK-Hefte und Dia-Sätze.

Unvermeidlich ist das Das Magazin, dessen als künstlerisch apostrophierten Nacktbilder genauso wie die Ratgeberseiten für Partnerschaft und Sexualität im Jugendmagazin Neues Leben zum Kanon erwachenden Begehrens der DDR-Jugend gehörten. Homosexualität existierte, wie eine Vitrine knapp andeutet, vor allem als Forschungsgegenstand, ab Ende der 1950er Jahre immerhin de facto straffrei, wenn auch bis in die letzten Jahre der DDR eher als im Widerspruch zu sozialistischer Moral und Familienbild stehend. Die endgültige Abschaffung der Nachfolgeregelung des berüchtigten Paragrafen 175 ließ bis ins Jahr 1988 auf sich warten, und erst 1989 war die Defa bereit, mit „Coming Out“ ein entsprechendes Filmsujet zuzulassen. Auch daran erinnert die Ausstellung.

„Die Förderung der Frau“

Ebenfalls knapp, aber mit geschickt ausgewählten Objekten wird das ambivalente Verhältnis der vermeintlich sozialistischen Gesellschaft zur Emanzipation der Frauen sichtbar. Schwere theoretische Wälzer wie „Die Förderung der Frau“ oder schlicht „Die Frau“ kontrastieren einerseits die objekthafte Darstellung wie im Magazin, andererseits aber auch die selbstbewusste Eigenwahrnehmung als integraler Teil und gestaltende Kraft in der Arbeitswelt der DDR – der zusätzlich die Verantwortung für die Reproduktionstätigkeiten zufiel. Alles auf einmal also: werktätig, sexuell aktiv, politisch engagiert und mütterlich. Der Einblick, den die Ausstellung gewährt, schließt sogar Schallplatten mit Liebesschnulzen ein, die leider nur anzuschauen, nicht zu hören sind. Mag sein, dass man das nicht hören muss. Aber schön wäre es doch, mit eigenen Ohren den Vergleich zum gängigen Herzschmerztingeltangel der westdeutschen Kulturindustrie ziehen zu dürfen. Da käme man ganz ohne Museumspädagogik auf den Trichter, dass die Reime in Ost und West gleichermaßen banal, die Melodien ähnlich unambitioniert sein können, die wenigen Perlen darunter also auf beiden Seiten der Mauer umso heller glänzende Ausnahmen bleiben. Überhaupt werden die Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West besonders deutlich in der Präsentation des kleinen und beiläufigen Ausdrucks von Liebe und Sexualität. Liebesbriefe von SchülerInnen, aus Heften gerissene Zettelchen, eng beschrieben, erzählen von roten Wangen, verliebten Blicken, strengen Eltern. Auf Papier überlebende Erinnerung an Schmetterlinge im Bauch. Genau diese Erinnerung ist so offensichtlich nicht DDR-exklusiv, dass die Ausstellung dieser Zeugnisse junger Verliebtheit das lebensweltlichste und zugänglichste Exponat der ganzen Schau ist.