piwik no script img

Kois im Becken, Beuys im Regal

Materialreiche Videoarbeiten von Andree Korpys und Markus Löffler sowie spirituelle Spurensuche bei Marvin Luvualu António: zwei Ausstellungen im Kunstverein Braunschweig

Von Bettina Maria Brosowsky

Zeit sollte man dieser Tage mitbringen in den Braunschweiger Kunstverein. Schon die Videos des Bremer Duos Andree Korpys und Markus Löffler haben zusammengenommen eine Spieldauer von mehr als zweieinhalb Stunden, dazu kommen material­intensive Installationen und Fotokonvolute. Dieser schon quantitativen Fülle – ihre Ausstellung stellt einen Rückblick auf zwanzig Jahre gemeinsamen Arbeitens dar – ist es dann auch geschuldet, dass der Rundgang nun im etwas klammen Keller des klassizistischen Villenbaus beginnt.

Dieser Ort ist allerdings ganz stimmig für die Dreikanal-Videoarbeit „Personen, Institutionen, Objekte, Sachen“ aus dem Jahr 2014: Der Titel zitiert die gleichnamige Datenbank „PIOS“, die der ausgebildete Polizist Horst Herold ab 1971 als Präsident des Bundeskriminalamtes initiierte. Sie wurde Basis der Rasterfahndung, unter anderem nach Mitgliedern der RAF, und benutzte Ausschlusskriterien. So sollen RAF-Mitglieder dadurch aufgefallen sein, dass sie regelmäßige Zahlungen wie Miete oder Strom für konspirative Wohnungen nicht mit den sonst üblichen Daueraufträgen oder Lastschriften abwickelten, sondern per anonymer Bar-Einzahlung.

Korpys/Löffler widmen sich nun scheinbar nebensächlichen Faktoren für ihre fiktive Überwachung der neuen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin-Mitte: Dieser gigantische, über eine Milliarde Euro teure Bau mit rigider „Schießscharten“-Fassade und 100.000 Quadratmetern Nutzfläche auf rund 5.200 Räume aufgeteilt, wurde unter strenger Geheimhaltung geplant und realisiert. Gefilmt aus einem gegenüberliegenden Abbruchhaus, teils mit langer Brennweite bis tief ins Innere oder in Kamerafahrten aus der Fußgängerperspektive, entstand nun ein mysteriöses Observationsprotokoll einer Institution – deren Aufgabe ja selbst die Überwachung ist.

Immer wieder blenden Korpys/Löffler banale Fundstücke ein – einen Zigarettenstummel, einen leeren Ta­blet­tenblister oder ein altes Handtuch – und inventarisieren es akribisch. Denn niemand kann wissen, ob das, was auf den ersten Blick vollkommen belanglos erscheint, nicht doch einmal für kommende Ermittlungen relevant sein wird? Aus diesen Konfrontationen hätte man ein herrlich absurdes und ironisches Gleichnis für unsere staatliche, digitale und erst recht kommerzielle Überwachungsmanie konstruieren können. Bei Korpys/Löffler aber bleibt alles distanziert, geradezu erhaben, visuell eindringlich, aber ästhetisch auch ziemlich selbstverliebt.

Im Erdgeschoss beschäftigt sich eine zweite große Videoarbeit von 2016 mit einer hermetischen und mächtigen Institution sowie ihrer Architektur. Diese setzt allerdings nicht auf wehrhafte Verschlossenheit, sondern – ganz im Gegenteil – auf die Suggestivkraft ihrer optischen Transparenz: die Europäische Zentralbank in Frankfurt am Main. Innenraumschwenks, Fassaden- und Konstruktionsdetails werden mit den ­Blockupy-­Aktionen zur Eröffnung im Jahr 2015 montiert, unterlegt mit Textpassagen aus Brechts unvollendeter Systemschelte, dem „Lesebuch für Städtebewohner“. Aber um explizite Kritik geht es den Künstlern nicht. Die Proteste liefern stereotype Bilder brennender Müllcontainer, Rauchschwaden oder Polizeikolonnen für eine Installation mit großen Spiegelwänden, die das Geschehen multipliziert, optisch auflöst, überwindet –„Verwisch die Spuren!“ ist der Brecht entlehnte Titel.

Details der Europäischen Zentralbank werden mit den Blockupy-Aktionen zu ihrer Eröffnung montiert, unterlegt mit Text aus Brechts „Lesebuch für Städtebewohner“. Aber um explizite Kritik geht es den Künstlern nicht

Eine willkommene Verschnaufpause bietet die sympathische Mischung aus Rumpelkammer des Kellerinventars und großem Alchemistenlabor im Zentrum der Ausstellung: Referenzen der Kunstgeschichte – etwas Blau von Yves Klein, Fettreste von Joseph Beuys, eine gammelige Schokofigur von Dieter Roth –, überführt in trinkbare alkoholische Essenzen, abgefüllt in sorgfältig beschriftete Flaschen. Die Witwe Beuys allerdings untersagte juristisch die Namensnennung, sodass der Nachlass des seligen Joseph nun als „Geist“ im Regal steht.

Zumindest für entschlossene Enthusiasten geht es oben weiter mit vier Arbeiten zu US-amerikanischen Themen: das Memorial zum Gedenken an den 11. September 2001, zwei frühe Amerikareisen und eine perfekt inszenierte Machtdemonstration von Ex-Präsidenten George W. Bush kurz nach dem 11. September in Berlin: Ein eindrucksvolles Pensum zeigen die zwei Professoren für „Künstlerische Raum- und Körperkonzepte“ an der Hochschule für Künste Bremen, es beschert durch sein fragmentarisches Assoziationsgeflimmer aber eine gewisse Ratlosigkeit.

Dann noch rasch in die Remise, den kleinen Projektraum des Vereins: Hier lässt Marvin Luvualu António, 1986 in Kanada geboren, einige Kois im flachen Wasser stoisch ihre Bahnen ziehen: immer herum um eine dreiseitige Pyramide. Den Künstler interessiert die unterschiedliche Symbolik von Fisch, Wasser und elementaren Architekturen in den weltweiten Religionen. In Braunschweig fühlt er sich, so ist zu erfahren, der „Christian Hope Church“ verbunden.

Korpys/Löffler: „Personen, Institutionen, Objekte, Sachen“; Marvin Luvualu António: „Yellow Solar Human“: jeweils bis zum 13. Mai, Kunstverein, Braunschweig

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen