: So fremd und so vertraut
Die Fotografien von Delia Keller sind wie Miniatur-Filme voller Verheißung. An ausgesuchten historischen Orten erzählen sie Geschichten eines Verschwindens
Von Radek Krolczyk
Die meisten Bilder zeigen schlicht leere Orte: ausholende Treppenaufgänge, nicht enden wollende Korridore, hell erleuchtete Vortragssäle. Dazwischen sieht man immer wieder diese wunderliche Frau. Die Aufnahmen der Fotografin Delia Keller zeigen sie meist von hinten, manchmal im Profil. Das es sie selbst ist, erfährt man aber nur zufällig, etwa wenn man alte Ausstellungskataloge durchblättert.
Keller wirkt auf ihren Bildern schlafwandlerisch, wie hineingeworfen in die wohl überlegten architektonischen Strukturen, die sie umgeben. Nichts verrät ihre Motivation, das Woher, Wohin, Warum. Als Figur wirkt sie dagegen vollkommen klar: Die Farben sind hell und rein, ihr Kurzhaarschnitt hat klare Kanten, die Ordnung der geometrischen Muster ihrer Kleider wetteifert mit jener der Architektur. Ordnung zu behaupten und Ordnung zu unterlaufen, scheinen zentrale Motive von Kellers Arbeiten zu sein. In der Städtischen Galerie Lehrte zeigt der Hannoveraner Fotokurator Maik Schlüter derzeit einige Serien der heute in Berlin lebenden Künstlerin.
Ideale Kulissen
Delia Keller wurde 1977 in Braunschweig geboren, wo sie an der Kunsthochschule unter anderem bei dem Maler Hartmut Neumann, der durch seine präzisen Linolschnitte berühmt geworden ist, studierte. Möglich, dass von dort ihr großes grafisches Verständnis rührt. Keller hat in Deutschland, Norwegen, der Ukraine und immer wieder auch in Rumänien ausgestellt. Ihre Arbeiten befinden sich unter anderem in den Sammlungen der Deutschen Bank und des Mönchehaus-Museums in Goslar.
Die Orte, die Keller für ihre Fotoarbeiten ausgesucht hat, sind historisch, sie gehören zum Bürgertum des 19. Jahrhunderts oder den brutalistischen Bauten der Nachkriegszeit. Es sind ideale Kulissen, um in ihnen eine Geschichte des Aussterbens einer Art oder einer Kultur zu erzählen. In der Serie mit dem sprechenden Titel „Wie es ist, wenn es aufhört“, an der Keller von 2007 bis 2008 arbeitete, sieht man sie selbst in einem roten Kleid. Man kann ihr über die Schulter schauen und sieht ein Gebäude mit bröckelnder Fassade, an dem in altertümlichen geschwungenen Neonzügen das Wort „Cinema“ zu lesen ist, darunter hängen ein paar Filmplakate. Die Figur nähert sich hier einem alten Kino, gleichzeitig scheint sie aber auch genau dieser Welt zu entspringen.
Erster Blick auf den Ort
Möglicherweise ist dies ein Schlüsselbild der Ausstellung, weil es auf den filmischen Charakter von Kellers Bildern insgesamt verweist. Die Einstellungen der Fotokamera sind wie die einer Filmkamera. Sie geben einen ersten Blick auf den Ort einer späteren Handlung frei und führen die Protagonistin ein. Sie dienen also dazu, eine Geschichte vorzubereiten, die dann eben doch nicht erzählt wird. Die Frau mit dem roten Kleid verliert sich in den nachfolgenden Bildern der Serie im Inneren des verlassenen Gebäudes in dessen ornamentalen Strukturen, vor den Falten fallender Vorhänge oder zwischen den gepolsterten Sitzen des Vorführsaals. Die Strukturen des aufwendigen Betonbaus können aber auch ohne diese Figur auskommen. Bald schon stehen die ausladenden Treppen aus Beton und die golden schimmernden Geländer für sich allein.
Ganz auf Figuren verzichtet Keller in ihrer Serie „Tomorrow is another day“ aus dem vergangenen Jahr. Die Bilder führen durch ein bürohaft anmutendes Gebäude aus den 50er-Jahren. Architektur und Inneneinrichtung sind auch hier fremd und leer. Auf den Bildern wird sowohl eine Flucht offen gehalten als auch eine Flucht verdeckt. Auf ein Geheimnis folgt stets das Versprechen seiner Offenbarung, dann ein Ablenken davon. Hier trifft zu, was Keller einmal über eine ältere Arbeit sagte: „Meine Suche forscht nach etwas, von dem ich nicht weiß, ob es existiert. So laufe ich in dieser fremden und dennoch so vertrauten Gegend herum.“
Bis 8. April, Städtische Galerie Lehrte
Der Autor ist Betreiber der Galerie K‘
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