Annabelle Hirsch Air de Paris: Ich würde ja behaupten, es war der erfolgreichste Internationale Frauentag überhaupt
Am vergangenen Donnerstag war, wie jeder weiß, Internationaler Weltfrauentag. Ich sage, wie jeder weiß, weil es ja, bis auf das unwahrscheinliche Szenario, dass man gerade in einem Erdloch ohne Wi-Fi festsaß, gar keine Möglichkeit gab, das nicht zu wissen. Ich würde behaupten, es war der erfolgreichste „IWD“ überhaupt. Nie sah ich so viele Leute am gleichen Tag ihre Liebe zur Frau bekunden, ihren Müttern, Schwestern, Freundinnen huldigen, sich mit der sogenannten „cause féminine“ solidarisch zeigen. Das war schön und auch etwas eigenartig. Weil man sich doch die Frage stellen konnte, wann diese Bekundungen aus dem Internet in die Realität übertreten würden.
Im Grunde genommen stellt man sich die Frage ja schon seit Monaten. Seit die Weinstein-Affäre ein neues Bewusstsein über soziale Machtstrukturen, Ungleichheit und Gewalt losgetreten hat, fragen wir uns: Was werden bei uns in Europa die Konsequenzen sein? Wird es überhaupt welche geben? In Frankreich gab es schon eine: Tariq Ramadan, der umstrittene Islam-Experte, sitzt seit über einem Monat in Haft. Zwei Frauen werfen ihm Vergewaltigung vor, seine Freunde hingegen wittern eine Verschwörung. Von wem die ausgehen soll, das mag man gar nicht fragen, man kann es sich ja denken. Aber bleiben wir bei den Frauen. Denn um sie schien sich in der vergangenen Woche ganz Paris auch außerhalb des Netzes, auf der Straße, in der Metro, in den Museen, im Theater, zu drehen.
Da war zum Beispiel der Mittwochabend im Théâtre Bobino: Aufgeführt wurden die berühmten „Vagina-Monologe“, vorgetragen wurden sie von, Achtung, Marlène Schiappa, der Staatssekretärin für die Gleichstellung der Geschlechter, und den ehemaligen Ministerinnen Roselyne Bachelot und Myriam El-Khomri. Drei Politikerinnen, davon eine im Amt, saßen da und sprachen über ihre Vagina, über Sexualität, Schamhaare, Intimität. Das muss man sich trauen. Schiappa, die sich damit natürlich am weitesten aus dem Fenster lehnte, fand: „Alle Mittel sind gut, um gegen die Ungleichheit anzukämpfen. Männer sprechen ja auch permanent über ihr Geschlecht. Weshalb dürften wir dann nicht über unsere Vagina sprechen? Das ist ja nichts Dreckiges.“ Stimmt. Am nächsten Abend, am Donnerstag, wurde im Musée Jacquemart André eine Frau geehrt, die zwar nicht über ihre Vagina sprach, deshalb aber nicht weniger feministisch engagiert war: Die Amerikanerin Mary Cassatt war zu ihrer Zeit eine der wenigen Frauen, die es schaffte, sich im Männerkreis der Impressionisten zu behaupten – obwohl sie sich dem Thema der Weiblichkeit verschrieb. Kein Zufall, dass ihre erste Ausstellung in Frankreich am 8. März eröffnete.
Und dann sah man am Ende dieser Abende, wenn man auf dem Heimweg in der Metro saß, etwas sehr Auffälliges: Die just in dieser Woche gestartete Kampagne gegen sexuelle Belästigung. Man sieht dort eine Frau, wie sie sich an eine U-Bahn-Stange klammert und hinter ihr mal ein Hai, mal ein grölender Bär, mal ein lauernder Wolf. „Ne minimisons jamais le harcèlement sexuel“ steht dort drüber, darunter eine Nummer, die man im Falle eines Übergriffs anrufen kann. Und soll. Es ist eine Plakat gewordene Antwort auf Catherine Millet und ihre Freundinnen, die fanden, so ein bisschen Reiben in der Metro, das sei schon okay. Zu sehen, dass eine Stadt, ein Staat und seine kulturellen Einrichtungen das überhaupt nicht mehr okay finden, das war, bei aller Vorsicht, doch wirklich sehr schön.
Annabelle Hirsch ist freie Autorin in Paris
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