: Das gute, echte Arztgespräch
Am 22. Februar 2018 feierte die Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland zum dritten Mal den „Ita Wegman Tag“
Zum Geburtstag der Mitbegründerin der anthroposophischen Medizin, Ita Wegman (1876–1943), am 22. Februar finden jedes Jahr deutschlandweit verschiedene Veranstaltungen statt. Maria Bovelet, Vorstandsbeauftragte der GAÄD: „An ihrem Geburtstag machen wir Zusammenkünfte, um uns ‚in Zusammenhang zu halten‘ – so nannte es Ita Wegman. Manche lesen einen Text, den wir herumschicken, es gibt Vorträge, Wickelkurse, Eurythmieauftritte, Kaffeetrinken und vieles mehr.“ Darüber hinaus spenden viele anthroposophische Ärzte ihren Tagesverdienst, um die Förderziele der GAÄD zu unterstützen.
Im Jahr 2018 sind das: Ausbildungsförderung, Unterstützung der Gründungsinitiative Phönix e. V. für eine Neugründung einer Mutter/Vater/Kind-Kurklinik in Lassan an der Ostsee und Weiterverbreitung der Ausbildung in äußeren Anwendungen mit Material und durch Kurse.
Weitere Informationen zu den Förderzielen 2018: www.gaed.de/informationen/ita-wegman-tag/foerderziele.html
Von Susanne Kretschmann
Zur Auftaktveranstaltung des Geburtstages der Pionierin Wegman sprach in Berlin der Medizinethiker Giovanni Maio von der Universität Freiburg. Über ihn sagt Maria Bovelet, Mitorganisatorin des Tages und Vorstandsbeauftragte der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland (GAÄD): „Es ist sein Einsatz für die Schwachen, sei es in der Pränataldiagnostik oder am Ende des Lebens, sein Beharren auf dem Wert der individuellen Arzt-Patienten-Beziehung, seine Warnung vor einer Unfreiheit in Therapiemöglichkeiten, der uns zeigt: In dieser Ethik geht es um den freien Menschen. Das verbindet uns.“ Und sie fügt hinzu: „Ich erlebe nicht, dass die Bereiche Ethik, ärztliches Selbstverständnis, Kollegialität in der universitären Ausbildung eine Rolle spielen. Das vermissen aber alle Lernenden, sie würden gern ihre Fragen und ihre Entwicklungsoptionen auf diesem Feld stellen und bedenken können.“
„Medizin ereignet sich nicht als zweckrationales Handeln, sondern in der Kommunikation zwischen Therapeut und Patient“, sagt Maio und widmet seinen Vortrag dem „guten, echten Gespräch“, das an den ethisch handelnden Arzt hohe Ansprüche stellt: Er soll seinem Patienten auf Augenhöhe begegnen, ihn anerkennen und sich auf ihn einlassen, das Gespräch absichtslos führen, hinhören und -fühlen anstatt nur hinzusehen, wahrnehmen, die Antworten des Patienten antizipieren und einen Gesprächsraum eröffnen, der gemeinsam betreten werden kann. Diese Herangehensweise setzt beim Arzt jedoch tiefe Aufmerksamkeit voraus und Werte wie Behutsamkeit, Kreativität, Sensibilität, Demut und Resonanz; Werte, die mit der Zweckrationalisierung der modernen Medizin unvereinbar sind. Die Organisation der Krankenhäuser nach betriebswirtschaftlichen und industriellen Gesichtspunkten gibt Ärzten Anreize, sich auf das Formale zu konzentrieren und die persönliche Betreuung ihrer Patienten und den zwischenmenschlichen Kontakt hinten anzustellen. „Die Pflege wird in einem durchökonomisierten System automatisch abgewertet. Die Normen des ökonomisierten Systems stammen aus der industriellen Massenproduktion, und sie werden unreflektiert auf die Medizin übertragen“, erklärt Maio und fährt fort: „Ursprung dieser unheilvollen Entwicklung ist die Übernahme eines mechanistischen Menschenbildes und die Transformation des Arztes zu einem Ingenieur für den Menschen.“
Gute ärztliche Behandlung kann nicht auf die Optimierung der Prozessqualität reduziert werden. Vielmehr muss Prozessqualität in den Dienst der Beziehungsqualität gestellt werden. Maio: „Ohne die Qualität der Beziehung kann auch das beste Behandlungsregime nicht fruchten. Daher ist es umso wichtiger, sich neben dem Dokumentierten gerade der nicht sichtbaren und nicht bezifferbaren Leistung der Ärzte neu zu vergewissern und sich gegen eine produktionslogische Umformung der Medizin zu wehren.“ Der kranke Mensch erhofft sich, Beachtung in der Medizin zu finden. Er will nicht als Symptomträger ausgefragt, sondern als Mensch wahrgenommen werden und ist nicht nur jemand, der etwas sagt, sondern auch jemand, der etwas zu sagen hat.
Das Unterstützungspotenzial der Medizin liegt im kommunikativen Austausch und entfaltet sich in der Verständigung. „Medizin verwirklicht sich nicht durch das Abarbeiten einer vorgegebenen Checkliste, sondern durch das Arbeiten in der zwischenmenschlichen Begegnung“, sagt Giovanni Maio. „Wenn die Krankenhäuser politisch verordnet als Wirtschaftsunternehmen organisiert werden, dann werden die Heilberufe von den Leitungsstrukturen dazu angehalten, an die Steigerung des Umsatzes zu denken, sie werden dazu angehalten, im Interesse des Unternehmens Klinikum zu handeln.“ Mit fatalen Folgen: Plötzlich wird der Nutzen für den anderen – nämlich für den kranken Menschen – zu etwas Sekundärem.
In seinen Büchern und Vorträgen regt Giovanni Maio an, das Gespräch und die psychosoziale Betreuung des Patienten zu stärken und wieder aufzuwerten. Ärzte, die sich persönlich engagieren, sollten nicht sanktioniert werden, sondern Wertschätzung erfahren. „Allen Beteiligten muss wieder bewusst werden, dass ohne die Ermöglichung von Zuwendung und Zwischenmenschlichkeit auch die bestfunktionierende Medizin nicht wirklich eine humane sein kann.“
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