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Archiv-Artikel

Eigenlob trotz Ausbildungslücke

Während die Bundesagentur für Arbeit von 144.000 fehlenden Lehrstellen im beginnenden Ausbildungsjahr spricht, wollen die Unternehmensverbände ihre Zusagen eingehalten haben. Die Forderungen nach einer Umlage werden jetzt wieder laut

Von KAN

BERLIN taz/ap ■ Obwohl noch tausende Jugendliche zu Beginn des Ausbildungsjahres keine Lehrstelle haben, ist der diesjährige Ausbildungspakt nach Meinung von Wirtschaft und Bundesregierung ein Erfolg. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt gestern am späten Nachmittag in Berlin. Er sei „optimistisch, dass bis Jahresende alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen.“ Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat nach eigenen Angaben 27.800 Lehrstellen zusätzlich geschaffen, hinzu kommen 12.000 von den Handwerkskammern neu gemeldete Stellen.

Die Erfolgsmeldungen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage auf dem Lehrstellenmarkt weiter angespannt ist. Zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit noch 144.000 Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Die Gewerkschaft Ver.di geht sogar davon aus, dass noch 290.000 Jugendliche ohne Lehrstelle sind. CDU-Wirtschaftsexperte Ronald Pofalla sprach von einer „dramatisch schlechten“ Lage.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement sieht in diesen Zahlen jedoch keinen Grund zur Beunruhigung: „Solche Statistiken sind nicht sonderlich aussagekräftig“, sagte er. Clement hofft, dass allein im Monat September noch weitere 100.000 Jugendliche vermittelt werden können. Handwerkspräsident Otto Kentzler verwies in einem Zeitungsinterview darauf, dass diejenigen Jugendlichen nicht berücksichtigt seien, die gar nicht mehr nach einer Lehrstelle suchten, weil sie studierten oder weiter zur Schule gingen.

Mit dem auf drei Jahre angelegten Ausbildungspakt hatte sich die Wirtschaft im vergangenen Jahr verpflichtet, jährlich 30.000 neue Ausbildungsstellen und 25.000 so genannte Einstiegsqualifikationen zu schaffen. Mit der Vereinbarung konnte in letzter Minute die von SPD und Gewerkschaften geforderte Einführung einer Ausbildungsabgabe verhindert werden, die ausbildungsunwillige Unternehmen zu Transferzahlungen an Ausbildungsbetriebe verpflichtet hätte. Angesichts der schlechten Zahlen erneuerten Gewerkschaftsvertreter gestern ihre Forderungen nach einer solchen Abgabe: „Wir sehen uns darin bestätigt“, sagte eine Sprecherin der IG Metall.

Auch Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn kritisierte die Wirtschaft: Es könne nicht sein, dass derzeit nicht einmal jedes dritte Unternehmen ausbilde, monierte die Sozialdemokratin. „Wenn sich nur 40 Prozent der Betriebe beteiligten, hätten wir kein Ausbildungsproblem“, sagte sie. Bulmahn kündigte an, dass die Bundesregierung bis 2010 weitere 100 Millionen Euro für regionale Ausbildungsprojekte bereitstellen wolle. „Jetzt gibt es für die Wirtschaft keine Ausrede mehr“, sagte sie.

Arbeitgeberchef Hundt machte hingegen die Gewerkschaften für die Krise am Ausbildungsmarkt verantwortlich. Es müsse häufiger möglich sein, beim Lehrlingsgehalt vom Tarifvertrag abweichen zu können, sagte er. Auch den Jugendlichen selbst gab Hundt eine Mitschuld: Mehr als ein Drittel der Suchenden würde angebotene Nachvermittlungstermine nicht wahrnehmen. „So verbaut man sich die Zukunft“, sagte er.

Nach Ansicht von Experten wird es in den kommenden Jahren nur in Ostdeutschland leichter, eine Lehrstelle zu finden. Angesichts des Geburtenrückgangs würden die Unternehmen den Jugendlichen ab 2007 „den roten Teppich ausrollen“, sagte Manfred Kremer, der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Im Westen werde sich die Situation wegen der hohen Zahl von Schulabgängern bis 2010 weiter verschlechtern. KAN

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