A wie Anarchie

Thomas Zipp malt, als sei das Leben ein einziger Trip. Seine Bilder werden ihm aus den Händen gerissen. Im Oldenburger Kunstverein zeigt er, was die Käufer übrig ließen

Man kommt hinein in den Kunstverein, und es poltern einem 33 schwarze Objekte entgegen. Sie bewegen sich nicht mehr, denn sie sitzen auf kleinen Bremsklötzen. Aber sie drängeln trotzdem mit einer unheimlichen Energie. Je weiter sie vom Bild entfernt sind, desto voluminöser werden sie, die größten sind fast hüfthoch.

Was ist das? Falsche Frage. Die Leinwand dahinter bietet auf acht Metern Breite Platz für die Fantasie. Ein Bergpanorama ist zu sehen, schwarz-grüne Felsen, Häuserblocks ohne Fenster. Vor dem Himmel, zwischen den Tälern, verlaufen rote Fäden. Sie sehen aus wie Wäscheleinen. Drei schwarze – ja, was nun? – Pillen, Bomben, James-Bond-Autos fallen herab. Die restlichen 30 clustern wie gesagt aus dem Bild und harren ihrer Deutung.

„Jedes hat eine Zahl, da musste mal etwas Ordnung rein. Hier, die 14, die lieb ich einfach“, sagt Thomas Zipp und streichelt fast zärtlich über die Nummer 14. Die Dinger hat er mit einem Freund gebastelt, die Bögen aus Holz ausgesägt und mit Nesseltuch überspannt. Dann mit schwarzer Farbe übertüncht. Zipp sucht Sinn. Warum nicht auch durch schwarze Pillen? Die Tiefe, die Höhe, das Böse, das Gute, alles ist drin.

„Er lehnt sich wohl auch an die pittura metafisica an“, murmelt Corinna Otto, Chefin des Oldenburger Kunstvereins. Thomas Zipp, geboren 1966 in Heppenheim und Städel-Schüler, zitiert die italienischen Vorläufer des Surrealismus vom Anfang des 20. Jahrhunderts traumhaft assoziativ. Er malt sein „Zeugs im Kopf“. Ja, sicher, Drogen habe er auch genommen, „LSD, das vergisst man nicht.“ Zipp entschied sich schon auf der Kunsthochschule fürs Malen, obwohl das uncool war, weil alle nur Medienkunst wollten. Das war gestern, heute benutzt auch Zipp den Computer, und bearbeitet seine Bilder nach. So entstehen neue Collagen altgedienter deutscher Surrealisten. Zipp lacht sie alle in die Tasche, indem er ihnen die Augen öffnet (siehe Interview).

Einen guckte er sich drei Stunden lang an und wusste: Der braucht noch ein A auf dem Revers. A wie Anarchie. „Eeeeeee“ kommt als Sprechblase aus einem anderen, das ist das Dadaistische in Zipps Werk. Das macht ihm Spaß. Die Augen gab es im Internet bei einem japanischen Künstler zu bestellen, der nur Augen fotografiert hat.

Die neue Generation von Malern setze immer auch auf Installation und Präsentation, meint Corinna Otto. Sie verfolgte Zipps Werdegang, weil sie stets auf die Schulabgänger achtet und aufhorcht, wenn jemand in den Galerien angesagt ist. „Alle wünschen sich von der Kunst, dass sie sofort eingeordnet wird“, sagt Otto, die eigentlich Ahnung vom Einordnen hat. „Aber das funktioniert nicht.“

Interpretationen der „black pills“ wird es unweigerlich geben. Jeder darf. Für die Lobeshymnen bei der Ausstellungseröffnung am Sonntag ist Zdenek Felix, langjähriger Direktor der Deichtorhallen, zuständig. Vielleicht ist Zipp deshalb so erfolgreich, weil er befremdlich malt, weil er die Realität derart abstrus wiedergibt, als sei das Leben ein einziger Trip. Kann sein, dass das manchem bei der eigenen Lebensbewältigung hilft. Seine Bilder werden Zipp jedenfalls aus den Händen gerissen. Zu der Ausstellung hat er keine Lieblingsstücke mitgebracht. Nichts ist älter als ein halbes Jahr. Eben das, was die Kunstkäufer ihm übrig ließen. Barbara Wündisch

Thomas Zipp, „Dirty Tree Black Pills“, Oldenburger Kunstverein. Eröffnung: Sonntag, 11. September, 11.15 Uhr. Geöffnet Di bis Fr 14-17, Sa & So 11-17 Uhr. Bis 23. Oktober