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Behütet in der Ostheide

Auf dem Birkenhof Neetze leben Menschen mit und ohne Behinderung – zusammen und nach den Grundsätzen Rudolf Steiners

Von Elke Schneefuß

Still ist es hier draußen. Das Areal der Lebensgemeinschaft Birkenhof liegt außerhalb, bis zum nächsten Dorf sind es ein paar Kilometer. Unter einem alten Baumbestand reihen sich Häuser und Werkstätten aneinander, vieles im Stil der Fünfzigerjahre. Eigentlich sollte hier nach dem Krieg eine Künstlerkolonie entstehen, ein kleines Worpswede in der Lüneburger Heide. Aber das Geld reichte nicht, der Plan scheiterte – bis eine Gruppe junger Heilpädagogen aus dem Schwarzwald das Gelände erwarb, um ein „Heil-und Erziehungsinstitut für seelenpflegebedürftige Kinder“ zu errichten.

Zu Beginn lebten hier durch den Krieg traumatisierte Kinder und Jugendliche. Nach und nach änderte sich das, Menschen mit Assistenzbedarf zogen mit ihren Betreuern ein: Inzwischen ist der Birkenhof Lebensmittelpunkt für 65 Menschen mit und ohne Behinderung. Ein Zuhause, ein Ort zum Leben und Arbeiten.

Ganze Familien leben hier in der Stille der Ostheide, rund 20 Kilometer von der nächst größeren Stadt entfernt. Das Zusammensein gestaltet sich nach den Grundsätzen Rudolf Steiners, was bedeutet: Hier zählt der ganze Mensch, nicht nur seine Beeinträchtigungen.

„Wir empfinden dieses Zusammensein als eine echte Lebensgemeinschaft“, sagt Ralph Frieling, der auf dem Birkenhof als Heimleiter arbeitet. Als junger Mann wollte er Medizin studieren, dann hat er den Birkenhof entdeckt: „Diese Form der sehr praktischen Hilfe lag mir mehr. Ich bin geblieben“, sagt er. Mit ihm seine Frau, die vier Kinder.

Auch Frielings ältester Sohn arbeitet hier, hat Frau und Tochter mitgebracht in eine Gemeinschaft, in der nicht die Defizite im Mittelpunkt stehen. So viel Schutz und Hilfe wie nötig, so viel Selbstständigkeit wie möglich: Das ist die Leitlinie.

„Der Birkenhof ist für viele unserer Bewohner ein zweites Zuhause“ sagt auch Mitarbeiter Sami Syrat-Sperling, der unter anderem die Brennholzwerkstatt leitet. Wer von den Bewohnern Bezug zur Holzwirtschaft hat, kann dabei sein, auch wenn Holz ausgeliefert wird, direkt zu den Kunden in der Region.

In Neu-Neetze geht es nicht darum, die Bewohner irgendwie zu beschäftigen. Sie sollen die Chance haben, eine ihnen gemäße Tätigkeit zu finden, sogar eine kleine Ausbildung zu absolvieren. Möglichkeiten dazu bestehen auch in Textilwerkstatt, Handweberei und Hauswirtschaft.

„Jeder Bewohner, der neu zu uns kommt, hat drei Monate Zeit, den richtigen Arbeitsplatz in einer unserer Werkstätten zu finden“, erklärt Frieling. Wer gelernt hat, was es in Werkstätten und Küche zu lernen gibt, bekommt zum Abschluss eine kleine Urkunde. „Natürlich ist das nicht mit dem offiziellen Abschluss einer Lehre zu vergleichen. Aber wir freuen uns, wenn die Bewohner ihre Ausbildung ernst nehmen und durchhalten“, sagt er.

Die Produkte der Holzwerkstatt und der Weberei werden im Internet, auf Märkten anderer anthroposophischer Einrichtungen und an Wiederverkäufer abgegeben. „Wir fertigen Bauklötze, Holzburgen und ganze Dörfer aus geöltem Erlenholz, auch für Waldorfkindergärten. Das ist nicht nur schön anzusehen, sondern es ist auch ein Erlebnis, das Holz anzufassen“, sagt Meike Büttner, Leiterin der Holzwerkstatt.

Büttner ist gelernte Tischlerin, ehemalige Waldorfschülerin und Heilerziehungspflegerin. Seit 1993 lebt sie mit ihren Kindern auf dem Birkenhof. „Für mich ist dieser Ort in besonderem Maße ein Zuhause. Für mich als alleinerziehende Mutter ist es ideal, hier zu sein“, sagt sie. Ihre Kinder sind in ihrer Nähe, sie ist für die beiden erreichbar.

Während in der Holzwerkstatt noch die Sägen kreischen, brennt auch in der Handweberei gegenüber noch Licht. Seit beinahe zehn Jahren arbeitet hier Christina Hoffmann, ausgebildete Ergotherapeutin. „Es geht darum, unseren Bewohnern ein Zuhause zu schaffen, es geht um Gemeinschaft“, sagt auch sie. Handtücher, Gardinen, Kissenbezüge und Stofftiere werden auch nach Ideen der Bewohner gefertigt.

Heute allerdings wird nicht gewebt, sondern gemeinsam gemalt, alle sind ein bisschen müde: Gestern war Fasching. „Wir haben schön getanzt“, sagt Kathrin, die sonst am Webstuhl sitzt. Kräftige Farben dominieren die Arbeiten, die in den Regalen liegen. Sie sind in der Region durchaus gefragt: Dass in den Werkstätten wirklich etwas entsteht, was Wertschätzung verdient, garantiert ein Siegel, auf das man auf dem Birkenhof stolz ist.

Seit 2010 haben die Werkstätten auf dem Gelände das WfbM-Siegel, eine Auszeichnung der Bundesarbeitsgemeinschaft aller Werkstätten für behinderte Menschen. Das Siegel gewährleistet einen hohen fachlichen, therapeutischen und sicherheitstechnischen Standard.

Wichtig: der Jahresrhythmus

Doch auf dem Birkenhof geht es nicht nur um die gemeinsame Arbeit. Hier draußen, in drei Wohnhäusern rund um einen kleinen Platz, wird auch gemeinsam gegessen, gefeiert und therapiert. Es gibt Theateraufführungen im Haupthaus, ein Café und eine Einkaufsmöglichkeit. Veranstaltet werden Kurse in Heileurythmie sowie Sprach-, Musik- und Kunsttherapien. Auch Sport wird hier getrieben, im Winter gibt es einen Schwimmkurs im nächstgelegenen Schulzentrum, im Sommer finden Ferienfahrten und Ausflüge statt.

Um die Wünsche und Sorgen der Bewohner kümmert sich ein Bewohnerbeirat, dem Anne schon zum zweiten Mal angehört. Sie ist stolz darauf, Teil der Selbstverwaltung zu sein. „Ich mache das gern“, sagt sie. In der übrigen Zeit gehört sie zum Küchenteam, sie kocht gemeinsam mit andern Bewohnern und einem hauptberuflichen Koch das Mittagessen.

Sich wiederholende Abläufe im Rhythmus der Jahreszeiten, das ist wichtig. „Durch im Jahresverlauf wiederkehrende Aktivitäten geben wir dem Leben Struktur. Das bietet den Bewohnern Sicherheit und Halt“, sagt Sami Syrat-Sperling.

Einige der Menschen in der Gemeinschaft leben seit mehr als 30 Jahren in der Obhut des Birkenhofs, manche mit, manche ohne Familienanschluss in der Welt da draußen. Geburtstage und Jubiläen, auch Sterbefälle werden gemeinsam erlebt: „Jedes Jahr im November gedenken wir der Verstorbenen, die unseren Bewohnern wichtig sind. Wir spüren, dass viele Bewohner einen innigen und intuitiven Kontakt zu ehemaligen Mitbewohnern oder verstorbenen Verwandten empfinden“, sagt Ralph Frieling.

Nichts vergeht jemals ganz, etwas bleibt immer – auch das passt zur Lehre Rudolf Steiners. Nicht auf die Defizite schauen, sondern auf das, was geht: Wer den Birkenhof nach einem langen Tag den Rücken kehrt, hat das Gefühl, dass so etwas hier draußen möglich ist.

Lebensgemeinschaft Birkenhof e. V., Karzer Straße 2, 21398 Neetze

www.birkenhof-neetze.de

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