geht’s noch?
: Die Macht der Sterne

Je abhängiger wir uns von Onlinebewertungen machen, desto mehr wird getrickst. Schlimmer aber: Wir verlassen uns auf den Geschmack Unbekannter und schaffen unseren eigenen ab

Wer kennt das nicht? Sie wollen ihr Date zum Essen einladen, aber kennen sich nicht mit veganen Restaurants im Kiez aus. Oder Sie brauchen ein Verlängerungskabel, aber können sich bei über 40.000 Produkten auf Amazon nicht entscheiden. Hilfe bieten in diesen Fällen digitale Bewertungsfunktionen. Diese bieten neben subjektiven Erfahrungsberichten immer auch einen besonders sichtbaren Bewertungsdurchschnitt für die jeweiligen Produkte oder Dienstleister*innen.

Beim Onlinehändler Amazon sind das die Sterne, beim Ärztebewertungsportal Jameda gibt es Schulnoten. Dieses Portal muss nach einem BGH-Urteil von dieser Woche nun das Profil einer klagenden Dermatologin löschen, die unfreiwillig gelistet worden war und somit ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt sah. Außerdem, so das Gericht, begünstige die Plattform Platzierungen von Ärzten, die für Werbung und Premiummitgliedschaft bezahlten.

Dass es digitalen Bewertungsportalen an Neutralität mangelt, dürfte Nutzer*innen dabei kaum verwundern. Denn je abhängiger wir unsere Entscheidungen von Onlinebewertungen machen, desto mehr Wert werden Anbieter*innen auf möglichst viele Sterne legen. So haben sich ganze Agenturen inzwischen darauf spezialisiert, Fake-Bewertungen zu schreiben. Aber selbst wenn es sich ausschließlich um ernst gemeinte Kundenbewertungen handelte: Wie kommt es, dass wir so sehr der Subjektivität Unbekannter trauen?

Wenn franz88x das Curry zu scharf und die Bedienung zu unfreundlich fand – kann es dann nicht sein, dass sich hinter diesem Profil ein weinerlicher Münchner versteckt, der nicht weiß, dass in Berlin Kellner*innen nicht freundlich sein müssen? Oder, wenn mausi1992 sich über fehlendes WLAN im Wartezimmer beschwert, sollte sie dann nicht einfach die zehn Minuten zum Meditieren oder Zeitunglesen nutzen? Und wie zur Hölle kann überhaupt die Qualität eines Verlängerungskabels bewertet werden?

Der unreflektierte Blick in die Bewertungssterne ist eine Abhängigkeit, die es dringend zu beenden gilt. Denn nicht nur werden wir möglicherweise getäuscht, wir versuchen schlechten Erfahrungen vorzubeugen, indem wir uns auf den Geschmack lächerlicher Accountnamen verlassen. Bis wir alle durchschnittlich gut essen, durchschnittlich behandelt werden und den durchschnittlich beliebten Film am Abend sehen. Fatma Aydemir