: Wenn sich ein Dorf verändert
Ein Jahr lang fuhr taz meinland durch die Republik, um ins Gespräch zu kommen. Einiges ist seitdem passiert. Ein Wiedersehen in Dersau
Von Malaika Rivuzumwami
Dersau ist der Ort der guten alten Zeit. 945 EinwohnerInnen, am Großen Plöner See gelegen. Verlaufen kann man sich kaum, alles führt auf den Dorfplatz hin. Doch die Zeit hat das idyllische Dorf verändert: Entlang der breiten Straßen herrscht Leere.
„Wenn ein Dorf stirbt“ – unter diesem Titel war taz meinland vor einem Jahr zu Besuch in Dersau. taz meinland war erfunden worden, um jenen eine Stimme zu geben, die sonst nicht so zu Wort kommen.
Im einzigen Hotel im Dorf wurde einen Abend lang gemeinsam diskutiert. Damals träumte Friederike Leibers, die mit ihrem Mann das „Hotel Leibers“ betreibt, von einem Café, „wo ich mich am Nachmittag hinsetzen kann“. In diesem Sommer wird ihr Traum Realität.
Almut Laing und ihr Mann lebten in Stuttgart, doch vor einigen Jahren entflohen sie ihrem Alltagstrott. „Wir haben nichts anderes gemacht als gearbeitet. Und dann entschlossen wir uns aufzuhören, an dem zu arbeiten, was uns eigentlich so sehr am Herzen liegt.“ Durch den Verkauf des Familienunternehmens erfüllten sie sich ihren ersten Traum: Mit einem Segelboot bereisten sie vier Jahre lang die Welt, immer mit der Frage im Hinterkopf, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll. Die Entscheidung, nicht nach Stuttgart zurückzukehren, stand schnell fest. Auf Besuchen verliebten sie sich in die holsteinische Schweiz und so landeten sie am Plöner See.
Einfach nur umziehen und irgendwo anders genau so weitermachen, kam für sie nicht in Frage. Auf der Suche nach Projekten und möglichen Aufgaben wurden sie auf den Besuch der taz aufmerksam. „Wir wussten, auf was wir uns einlassen. Uns schreckte auch nicht ab, dass die taz über das Dorfsterben bei uns diskutiert. Vielmehr hat es uns motiviert!“
Schon am Küchentisch von taz meinland war die Idee von einem neuen Treffpunkt zur Sprache gekommen. Doch bisher war nicht viel passiert. Die Geldgeber fehlten. Nach mehreren Wochen des Grübelns aber wollte Almut Laing es wagen, gemeinsam mit ihrem Mann und Angelika Frabricius, einer engagierten und motivierten Rentnerin aus dem Dorf. Die stillgelegte Gärtnerei unweit vom Ortskern lieferte den passenden Ort und auch die nötige Unterstützung: Wolfgang Kobs, der Besitzer der Gärtnerei, schloss sich dem Trio an. Angesteckt durch den Aktivismus, beschloss er auch, die Gärtnerei wiederzueröffnen. „Es haben einfach nur vier Alte gefehlt, die bekloppt genug sind, so etwas probieren zu wollen.“
Die Liste der zu klärenden Fragen war zunächst kilometerlang. Mittlerweile schrumpft sie Woche für Woche. Das Café wird in ein kleines Gewächshaus ziehen. Noch ist es leer, doch es fühlt sich immer mehr mit Leben: Ebay macht’s möglich! Hunderte Kilometer sind sie durch die Republik gefahren, um einzelne Thekenteile, Kühlschränke und Tische zu erwerben. Laings Mann kümmert sich um den Ausbau der Toiletten, der Elektronik und der Wasserleitungen, ihr Bruder hilft beim Innenausbau. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt.
Das Konzept der Gruppe ist klar: Es soll ein Ort der Begegnung werden. Die Gärtnerei und das Café sollen eine Synergie ergeben, sich gegenseitig ergänzen. So findet auch die altbewährte Küchentisch-Idee von taz meinland seinen Platz: ein Tisch zum diskutieren und gemeinsamen Feiern. Die ersten drei Veranstaltungstermine im Sommer stehen schon fest, von überall kommen Anfragen.
Wie verrückt ihre Idee auch sein mag, Druck spürt man hier nicht: „Die Unterstützung ist so groß, durch Freunde, Familie oder auch Fremde, die von unserem Café hören und uns Hilfe anbieten“, erzählt Laing. „Natürlich kommt hinzu, wir müssen erst mal nicht davon leben, das gibt uns eine Menge Freiheit!“.
Die leeren Gebäuden, die schließenden Supermärkte und Banken machen ihnen keine Angst. Sie wissen, sie werden sehnsüchtig erwartet: „Unsere Einzigartigkeit hier ist doch perfekt – wir haben weit und breit keine Konkurrenz.“
Am 5. Mai soll die Eröffnung sein, im Sommer wollen sie jeden Tag offen haben, regulär von 10 bis 17 Uhr – doch sie werden sich anpassen, wollen die Türen auch länger offen lassen, wenn es gewünscht ist. Die Vorfreude ist groß: „Ich werde wahrscheinlich anfangs zwölfmal über meine eigenen Füße fallen“, erklärt Laing, „aber das macht nichts. Wir werden es einfach solange ausprobieren, bis wir es draufhaben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen