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Archiv-Artikel

Energie in Strömen

Andre Agassi und James Blake liefern sich bei den US Open in New York ein denkwürdiges Viertelfinalspiel

NEW YORK taz ■ Es war genau ein Uhr in der lauen Nacht, als der Tiebreak des fünften Satzes begann. Die Leute standen auf den Rängen des Arthur-Ashe-Stadions, fast jeder brüllte irgendwas, und in der Luft entlud sich eine unvergleichliche Mischung aus Staunen, Spannung, Aufregung und heißer Hoffnung, dass er es tatsächlich schaffen würde. Andre Agassi warf den Ball zum Aufschlag in die Luft.

Aber der Reihe nach. Im ersten Teil dieses Spiels im Viertelfinale der US Open hatte Agassi keine Chance. Der zehn Jahre jüngere James Blake drängte ihn mit Athletik, mit der Schnelligkeit eines Sprinters und mit kraftvollen Schlägen scheinbar mühelos aus dem Feld. Nach einem frustrierenden Beginn und dem Verlust des ersten Satzes in nicht viel mehr als 20 Minuten versuchte Agassi in seiner Ratlosigkeit, das Tempo zu forcieren: Eine knappe Viertelstunde später war auch der zweite Satz weg. Und als er nach rund einer Stunde zwanzig auch zu Beginn des dritten wieder ein Break kassierte, hätte kaum noch einer einen Dollar auf ihn gesetzt. Seit er zum letzten Mal ein Spiel nach 0:2-Satzrückstand noch gewonnen hatte, waren doch mehr als zwei Jahre vergangen, und er war nicht jünger geworden in dieser Zeit. Aber Agassi wehrte sich. Glich aus zum 3:3, schöpfte neuen Mut – und der zweite Teil begann. Blake wirkte verunsichert. Er stammt aus der Gegend und in jedem anderen Spiel hätten die New Yorker für ihn gebrüllt. Aber in diesem Momenten war längst klar, dass sie Agassi siegen sehen wollten. So wollten sie ihn nicht verlieren bei seinem 20. Turnier. Agassi gewann den dritten Satz, steckte im vierten noch mal einen Rückschlag weg und wirkte auf einmal um Jahre verjüngt.

Im fünften Satz stieg der Geräuschpegel, La Ola schwappte über die Ränge, jetzt begann der beste Teil. „Darum geht’s“, erklärte Agassi später, „sich aneinander zu messen und Energie fließen zu lassen.“ Sie floss in Strömen. Blake war auf einmal wieder so stark wie zu Beginn, doch Agassi war wieder zur Stelle. Spielte Returns mit vollem Risiko, zwang den anderen zu Fehlern – und glich noch mal aus. Zum 5:5. Zum 6:6. Dann begann der Tiebreak. Wieder geriet Agassi in Rückstand – und schlug zurück, als habe er ein unerschöpfliches Reservoir an Zuversicht. Jeder seiner Punkte löste Jubelstürme aus, jeder von Blakes Punkten längst aber auch. Dass es in diesem Spiel einen Verlierer geben würde war klar, aber die Gewissheit, dass das Spiel selbst der große Gewinner sein würde, verband die Menschen.

Agassis erster Matchball brachte keinen Erfolg, mit dem zweiten wenig später endete das Spektakel in fünf Sätzen (3:6, 3:6, 6:3, 6:3, 7:6) mit seinem Lieblingsschlag, einem knalligen Return. Auf der Anzeigetafel leuchtete der Name AGASSI in bunten Großbuchstaben, die Darsteller auf dem Platz umarmten sich, klopften sich gegenseitig auf die Schulter und sagten sich offensichtlich nette Worte.

„Zwei Typen müssen schon so spielen, um diese Art von Drama zu schaffen“, meinte Agassi später. Er sei in den vergangenen Tagen immer wieder gefragt worden, was es ihm bedeute, zum 20. Mal bei den US Open zu spielen, was ihm dieses Turnier überhaupt bedeute. Die Antwort sei dieses Spiel: „Wenn 20.000 Leute um Viertel nach eins aus dem Häuschen sind.“ Es sei für ihn immer noch ein Traum, das zu erleben. Und zu den faszinierenden Seiten an diesem Mann gehört nicht nur, dass er gegen einen starken, jungen Gegner ein Spiel aus dem Feuer holt, sondern dass er danach auf eine Art darüber redet, die einen rühren muss. „Ein Match wie dieses kann dein Leben bereichern.“

James Blake, der zweite Held des Abends, gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verstecken, aber er freute sich am Glanz des gemeinsamen Auftritts. Agassi habe den Sieg verdient, jetzt wünsche er ihm nur das Beste. Der hat nun zwei Tage Zeit, um sich bis zum Halbfinale am Samstag gegen Landsmann Robby Ginepri zu erholen. In dieser Partie wird er der älteste Halbfinalist der US Open seit dem legendären Auftritt von Jimmy Connors aus dem Jahr 91 sein, der damals 39 war. An die Bilder des alten, hemmungslos kämpfenden Jimbo aus jenem Jahr erinnert sich jeder, der sich für Tennis interessiert. „Damals habe ich wohl nicht verstanden, was ihm solche Spiele bedeuten“, sagt Agassi. Inzwischen ist es ihm klar. DORIS HENKEL