Ausstellung „Mutter.Form“ in Hamburg: Kunstheldin Mutter

Das Hamburger Kunsthaus würdigt die Mutter. Die Ausstellung heißt „Mutter.Form“, weil sie sich nicht nur mit menschlichen Beziehungen beschäftigt.

Eine Wand mit fünf Portraitfotos von einer Frau mit rot geschminkten Lippen.

Alles voll mit Müttern: Installationsansicht im Hamburger Kunsthaus Foto: Hayo Heye, © VG Bild-Kunst Bonn, 2018

HAMBURG taz | Bei der ersten Jurysitzung, als das Thema der diesjährigen Jahresausstellung des Berufsverbandes Hamburger Künstlerinnen und Künstler (BBK) noch nicht feststand und man noch entsprechend am Suchen, Abwägen und Überlegen war, fiel irgendwann das Wort: Mutter. Rein zufällig, von niemandem strategisch geplant. Einfach: Mutter. Mutter!

Sofort entspann sich ein Gespräch: „Es war sofort zu merken, welche unterschiedlichen Gefühle nur das Wort ‚Mutter‘ auslöst: von total positiv bis belastet; Begriffe wie ‚Kontrollzwang‘ und ‚Fürsorge‘ fielen“, sagt Maria Gibert, eine der Jurorinnen der sechsköpfigen Jury.

Damit war das Thema klar, wenn auch noch nicht in einen solide ausformulierten Ausschreibungsaufruf gegossen. „Wichtig ist uns auch das Wort ‚.form‘ und damit die Frage über die Mutter hinaus, wo etwas herkommt, wo etwas anfing“, sagt Maren Goldenbaum-Henkel aus dem Jurykreis.

Das Besondere der Jahresausstellung des BBK: Eine Jury wählt aus eingesandten Arbeiten ihrer Mitglieder das aus und lässt es hängen oder aufstellen, was nach ihrer Einschätzung in Bezug auf die Auseinandersetzung mit dem vorgegebenen Thema entschieden an Wert und Wirkung und Kraft hat.

Da die Einsendungen anonym erfolgen, haben bekannte Namen somit die gleichen Chancen wie vorgebliche Nobodys. Mitglieder, die seit Jahrzehnten dabei sind, müssen sich mit denen messen, die gerade erst in den Verband eingetreten sind. Von daher besteht die Kunst jedes Jahr darin, ein Thema wie eine Überschrift zu (er)finden, die das Feld kommender künstlerischer Auseinandersetzung einerseits weit öffnet, es sich aber auch von der Beliebigwerdung abgrenzt.

Kunstwerke mit erzählerischer Haltung

Und das klappt diesmal richtig gut: Tief biografisch geerdete Arbeiten wechseln sich mit Werken ab, die ein, zwei Schritte zurücktreten; leise und leichte Ironie ist ebenso anzutreffen wie überzeugende Ernsthaftigkeit. Statements treffen auf Suchbewegungen. Wobei auffällt, dass die Kunstwerke je auf ihre Weise die Betrachter mit einer erzählerischen Haltung konfrontieren und es stets nicht lange dauert, bis man sich beim Betrachten einen Ankerpunkt sucht, der zum Nach- oder Weitererzählen einlädt. Oder um es mit Goldenbaum-Henkel zu sagen: „Jeder hat eine Mutter.“

Da ist etwa Kerstin Bruchhäuser mit einer überlebensgroßen Näharbeit, die uns eine Mutter mit Kleinkind auf dem Arm zeigt – die so symbiotisch sie auch wirken, bereits auseinander streben.

Gleich nebenan bietet uns Wolfgang Block eine nur vordergründig technoide Installation: Er hat seine Mutter beim Stricken gefilmt, verwandelt die schnellen Bewegungen und das dabei entstehende Klickern der Nadeln erst in elektrische und dann grafische Impulse. Inklusive der kleinen Fehler, die beim so rasanten Verknüpfen der Maschen passieren können und in der Nachbearbeitung ausgeglichen werden. Und ist das nicht das Grundanliegen von Erziehung, wo man immer wieder das gutzumachen versucht, was einem in besten Absichten eben misslang? Und zwar so, dass niemand es groß merkt?

Was bleibt, wenn die Kinder einen nicht mehr brauchen?

Jutta Konjer zeigt sich selbst mittels der Fotoarbeit „Hexe“, nicht mit Katze, sondern mit Huhn auf der Schulter. Was bleibt, wenn die Zeit wirkt und die Kinder einen schon lange nicht mehr brauchen und auch sonst niemand mehr auf einen wartet? Judith Heinsohn geht im Gegensatz dazu mit der Videoarbeit „Seehunde im Bauch einer Frau“ noch einmal zurück zu den Momenten, wo das noch ungeborene Kind sich im Körper der Mutter bemerkbar macht.

Monika Hahn hat für ihre Arbeit „Mutters Sohn“ eine Strumpftasche genutzt, in der einst Frauen ihre Nylonstrümpfe aufbewahrten. Beeindruckend schön die Fotoarbeit „Madonnen“ von Ute Friederike Jürß, die Madonnenfiguren samt deren jeweiligem Kind so ausschnitthaft fotografiert und bearbeitet hat, dass eine ganz eigene Anmutung von Entrückung und Präsenz entsteht.

„Heimat gesucht“ von Alexandra Ewerth, bestehend aus einem aufgestellten Zelt, auf dessen Bahnen sie Alltagsszenen von Mutter und Kind projiziert hat, kann dagegen ohne übertrieben moralischen Impetus als leiser Kommentar zur Situation von geflüchteten Müttern und Kindern gelesen werden.

Vom Ende der klassischen Mutterschaft

„Wild Animals“ von Kerstin Stephan nennt sich schließlich eine Serie aus kleinen, sehr raffiniert gefertigten Schwarz-weiß-Collagen von Tiermüttern mit ihren Nachkommen – bis man beim Betrachten irritiert merkt, dass bei dem dargestellten Setting der ineinander montierten Körperteile irgendetwas nicht stimmen kann.

Ralf Jurszo nutzt das Sujet des kaum handtellergroßen Sammelbildchens, um auf das mögliche Ende der klassischen Mutterschaft hinzuweisen: „Unsre Leihmutter“. Und Hanna Malzahn widmet sich in ihrer grafischen Serie „Mutter und Schrauben“ der Sechs-Kant-Schraube, wie die Mutter schließlich auch heißen kann.

Noch mal intim wird es zum Ende der Kunsthaushalle hin, wo hinter einer eingezogenen Wand Arbeiten hängen, für die man beim Betrachten Ruhe, Abschirmung und Schutz gut gebrauchen kann: Karin Witte hat Zeichnungen ihrer verstorbenen Mutter gefertigt, in der der Schrecken, aber auch das pure Nicht-verstehen-können über den leblosen Körper ihrer sie solange durchs Leben begleitenden Mutter enthalten ist.

"Mutter.Form": Hamburger Kunsthaus, bis zum 4. März

Christiane Lüdtke hat während ihrer Wachen am Bett ihrer ins Koma gefallen Mutter diese gezeichnet und dafür als Malfläche zu simplen, weißen Vliestüchern gegriffen, wie sie sonst im Haushalt benutzt werden. Und so schauen wir auf das Ende von Mutterschaft und in diesem Fall das Tochtersein, das sich in anderer Weise fortsetzen wird.

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