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Archiv-Artikel

Wildlachs im Club

NACHSWUCHS Manuel Czech revolutioniert die Berliner Clublandschaft. Der Koch mit Vorliebe für improvisierte Musik hat sich einen Traum verwirklicht: Am Mittwoch eröffnet der Jesus Club mit experimenteller Musik, Küche und mobiler Bar

Die Küche bildet das Zentrum des Geschehens in einem Raum, der in seiner Gesamtheit als Bühne gedacht ist und die Gäste zu Mitwirkenden macht

VON TIM CASPAR BOEHME

Maria und Josef bekommen ein Kind. Diesmal nicht in Bethlehem, sondern in Berlin und vermutlich ohne Gottes Hilfe. In der Maria am Ostbahnhof wird, zusätzlich zum Club Josef, am Mittwoch der Jesus Club das Licht der Welt erblicken. Geburtshelfer sind der Koch Manuel Czech und der experimentelle Musiker und Konzertveranstalter Guido Henneböhl. Ihr Konzept sucht in Berlin seinesgleichen, denn hier wird zu Musik gekocht – und später gegessen.

Anders als bei vermeintlich ähnlichen gastromusikalischen Angeboten wie Pomp, Duck and Circumstance geht es Czech und Henneböhl nicht um eine weitere Form von Konsumagglomeration, mit der das Publikum Kost und Töne vorgesetzt bekommt, um beides passiv in sich aufzunehmen. Die Küche bildet das Zentrum des Geschehens in einem Raum, der in seiner Gesamtheit als Bühne gedacht ist und die Gäste zu Mitwirkenden macht. „Ich finde das Partizipieren der Anwesenden sehr wichtig“, so Czech.

Auch das Musikprogramm stellt im heutigen Clubkontext eine Ausnahme dar. Experimente kommen dort in der Regel kaum noch vor. Mit seiner Mischung aus frei improvisierter Musik und avancierter Elektronik schafft der Jesus Club einen Raum für Musikformen, die oft nur in so kleinem Rahmen zu hören sind, dass sie nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Am Mittwoch werden der Klangkünstler Michael Vorfeld, der Elektroakustiker Greg Haines und der Tapemusiker Machinefabriek den Auftakt machen. Für spätere Abende haben sich Elektroniker wie Oval und Asmus Tietchens oder der Multiinstrumentalist Shahzad Ismaily angekündigt. Warum diese Kombination von Kochen und Musik? Czech hatte vor Jahren ein Schlüsselerlebnis, das ihn auf die Idee brachte, seine Kochkünste mit experimenteller Tonkunst zu verbinden: „Ich war bei einem Konzert mit improvisierter Musik, und ich fand die Veranstaltung so lieblos, dass ich dachte: Das ärgert mich total, das mach’ ich besser.“ Acht Jahre ließ er den Gedanken reifen, bis er den Schritt wagte, mit dem Jesus Club ernst zu machen.

Erfahrungen mit dem Organisieren von Konzerten hatte Czech schon während der Neunziger in Hamburg gesammelt, wo er mit dem Musiker Frank Möller alias Knarf Rellöm eine Booking-Agentur betrieb. Später entschied er sich zur Karriere als Koch und ging nach Berlin, um im Sternerestaurant Margaux seine Lehre unter Michael Hoffmann zu machen. Doch statt sich fest anstellen zu lassen, wurde er lieber Freiberufler und sammelte weitere Erfahrungen im Ausland, unter anderem in einem Zweisternerestaurant in Monaco. Heute arbeitet er oft für das Bundespräsidialamt: „Ich bin der etwas merkwürdige Typ im Schloss Bellevue.“

Parallel dazu betreibt Czech die Remise, eine Kochschule in einem Kreuzberger Hinterhof-Fachwerkhaus. Vor zwei Jahren begann er dort Menü-Abende zu organisieren, bei denen Musiker aus der Improv-Szene Konzerte oder Performances gaben. Den Kontakt zu den Künstlern stellte er selbst her: „Ich habe die Leute einfach bei den Konzerten gefragt. Zack, zack, hat Axel Dörner bei uns gespielt.“ Auch der Berliner Turntablist Ignaz Schick trat oft in der Remise auf und öffnete Czech weitere Türen zur Szene. Was die Menü-Abende gegenüber herkömmlichen Konzerten so besonders macht, ist die familiäre Situation, die durch das Kochen entsteht. Wer will, kann beim Zubereiten mithelfen. Die Besucher kommen leichter ins Gespräch, statt bloß stumm nebeneinander zu sitzen. Genau diesen Ansatz verfolgt Czech auch mit dem Jesus Club. „Essen ist wirklich ein Icebreaker. Es ist so was von die Basis und etwas, das bei jeder Form von kulturellen Zusammenkünften funktioniert.“ Mitmachen ist im Jesus Club daher ausdrücklich erwünscht. „Ich will einfach, dass die Gäste mal wieder einen ganzen Fisch anfassen.“ Sorgfältig ausgesuchte Lebensmittel verstehen sich bei Czech von selbst. Bei den Getränken achtet er auf guten Wein, der zum Essen passt, ohne deshalb viel kosten zu müssen. Sein womöglich ehrgeizigstes Ziel: „Wir werden versuchen, die Aperitivo-Tradition in Berlin einzuführen. Und das schaffen wir.“

Dem kommunikativen Ansatz des Clubs gemäß schließt das Programm auch andere Kunstformen ein. So wird zur Eröffnung die Installation „Garden Houses“ der Künstlerin Hannah Dougherty gezeigt. Zu essen gibt es übrigens Borschtsch und gebeizten Wildlachs. Hier sind ebenfalls moderate Preise zu erwarten, Renditemaximierung ist Czechs Sache nicht. Den Club finanziert er selbst, Förderung gibt es keine: „Man braucht gar nicht so viel Geld, um gute Sachen zu machen. Man muss es halt richtig machen.“

■ Jesus Club in der Maria am Ostbahnhof mit Michael Vorfeld, Greg Haines, Machinefabriek, 4. November, 20 Uhr