Der Sturm der Ohnmacht

Die Jahrhundertaufgabe nach dem Jahrhundertsturm: Können die Umweltschützer in den USA eine neue Klimapolitik herbeiführen? Sie haben einen Verbündeten – den Schock

Die Benzinpreise steigen, und das Image der Ölkonzerne ist nicht schlechter als vorher

Angela Merkel erzählt gern eine Geschichte aus ihrem früheren Leben als Bundesumweltministerin. Als sie den US-Kongress in Washington besuchte, wurde ihr die Abstimmungsliste der 100 Senatoren zum Kioto-Vertrag vorgelegt: 98-mal „No“ zum Klimaschutzabkommen. „Und denken Sie nicht, dass zwei Senatoren dafür waren“, bekam Merkel dann zu hören, „die waren bei der Abstimmung nur verhindert.“ Bei Merkels nächstem Besuch im Capitol werden zumindest die Senatoren aus Louisiana, Mississippi und Alabama mit solchen Äußerungen vorsichtiger sein.

Nach dem verheerenden Hurrikan „Katrina“ fühlen sich viele Umweltschützer darin bestätigt, dass die klimapolitische Geisterfahrt der USA nun erste Resultate zeigt. „Selber schuld“ lautet die Meinung, die mit klammheimlicher Freude den Klimasünder jetzt als Klimaopfer sieht. Andere hoffen auf einen radikalen Kurswechsel der USA bei der Klimapolitik unter dem Eindruck von Tod und Zerstörung. Wird „Katrina“ zum „11. September“ des Klimaschutzes?

Mit dem Problem hat sich schon vor Jahren das World Watch Institute befasst, einer der einflussreichsten Öko-Thinktanks der USA. Auf die Frage, ob der dringend notwendige drastische Kurswechsel in der Klima- und Umweltpolitik der USA überhaupt möglich sei, schrieben die Experten damals: Denkbar sei so etwas schon, etwa nach einer großen Naturkatastrophe. Schließlich habe sich auch niemand vor den Anschlägen vom 11. September 2001 träumen lassen, welche radikalen Veränderungen über die amerikanische Gesellschaft hereinbrachen. Gerade die konservativen Republikaner, die eine starke Zentralgewalt sehr skeptisch beäugen, die Eingriffe der Regierung in die Wirtschaft ablehnen und individuelle Freiheitsrechte verteidigen, gerade diese Partei konzentrierte eine nie gekannte innenpolitische Macht in Washington, pumpte Milliarden Steuergelder in die Wirtschaft und schränkte die bürgerlichen Freiheiten ein.

Die herrschende Meinung zum Klimawandel in den USA folgt drei Argumenten. Erstens: Einen Klimawandel gibt es nicht. Zweitens: Wenn es ihn gibt, dann nicht bei uns. Drittens: Auf keinen Fall werden wir etwas dagegen tun, weil es unserer Wirtschaft schadet.

Diese „Argumente“ waren schon vor „Katrina“ falsch. Jetzt lassen der Sturm und seine Folgen erahnen, wie teuer es für eine Volkswirtschaft und einzelne Unternehmen ohne Klimaschutz werden kann. Versicherungsgesellschaften und Rückversicherer schauen nervös auf die Schäden: Von 10.000 Toten und 100 Milliarden Dollar Schaden ist die Rede, im Fernsehen sehen wir einen zerstörten Landstrich, eine inkompetente Führung und hilflose Helfer.

Vordergründig wird das Desaster nicht dem Klimawandel angelastet, sondern der Flussbegradigung im Delta des Mississippi, dem unterfinanzierten Hochwasserschutz, dem Versagen der Rettungspläne und der Armut im Süden der USA. Das alles ist richtig, aber es ignoriert eine Tatsache: dass der Klimawandel zu all diesen Ursachen noch hinzukommt. Wenn die Feuchtgebiete fehlen, die Deiche marode und die Menschen dort arm sind, wird aus einem „Jahrhundertsturm“ eine nationale Katastrophe. Deshalb ist „Katrina“ nicht so sehr ein Beweis für die Realität des Klimawandels – sondern eher ein Blick in die Zukunft und ein Schlaglicht auf andere Gegenden auf dieser Welt.

Denn im nationalen Rahmen der USA zeigte „Katrina“, was sonst global passiert: Der Klimawandel trifft die Armen am härtesten. Während die reichen Industriestaaten Deiche gegen die Flut bauen, melden die Inselstaaten „Land unter“. In New Orleans hieß das: Wer Geld hatte, flüchtete im Auto. Die armen Schlucker standen bis zum Hals im Wasser.

Im globalen Maßstab vernichten zunehmende Stürme und Überschwemmungen die Lebenschancen in Ländern wie Bangladesch oder China. An der Golfküste steht jetzt ausgerechnet das Armenhaus der USA vor dem Nichts – anders als im Hollywood-Katastrophenfilm „The Day After Tomorrow“ und anders als mit den Terroranschlägen von New York und Washington traf es nicht die ökonomischen und politischen Zentren der USA, sondern den bitterarmen Süden.

„Katrina“ öffnet die Augen dafür, dass sich auch die USA mitten im Klimawandel befinden. Den Bewohnern Alaskas taut der Permafrostboden unter den Füßen weg, im Westen nehmen Trockenheit und Waldbrände dramatisch zu. Die USA haben bislang gezeigt, dass man auch mit geschlossenen Augen im Treibhaus wohnen kann, bis man nasse Füße bekommt. Die entscheidende Frage lautet daher: Wie wird „Katrina“ wahrgenommen? Als dramatischer Schicksalsschlag? Oder als Weckruf, sich dem Thema Klimawandel endlich zu stellen?

Danach sieht es zumindest im Augenblick nicht aus. In der amerikanischen Öffentlichkeit wird die Klimapolitik nach wie vor kaum diskutiert. Zu sehr ist man damit beschäftigt, das Versagen der Hilfsdienste zu thematisieren und das Verhalten der Regierung zu kritisieren. Auch die Börse, ein verlässlicher Indikator für die Stimmung im Land, hat gelassen reagiert. Die Benzinpreise steigen, und das Image der Ölkonzerne ist nicht schlechter als vorher. Ohnehin ist der Slogan „Weg vom Öl“ schwer durchzuhalten, weil das Land in seiner Wirtschaft, Infrastruktur und Bausubstanz vollständig von billigen fossilen Energien abhängig ist. Anders als beim 11. 9. gibt es auch keine skrupellosen Feinde, gegen die man nun mobil machen könnte – ganz im Gegenteil werden die wiedergeborenen Christen rund um Präsident Bush in der „Katrina“-Katastrophe eher eine Strafe Gottes für sündiges Leben sehen als eine Konsequenz aus ihrer rücksichtslosen Energiepolitik.

Die USA zeigen, wie man mit geschlossenen Augen im Treibhaus wohnt, bis man nasse Füße bekommt

Ob „Katrina“ in den USA zu einer Debatte über die Klimapolitik anstößt, hängt entscheidend von der Wahrnehmung der eigenen Hilflosigkeit ab. Ganz anders als Europäer sind Amerikaner mit Naturkräften wie Stürmen vertraut. Sie haben sich eine Routine mit den regelmäßig wiederkehrenden Hurrikanen und Tornados zugelegt. Was allerdings nicht in die kollektive „Frontier“-Ideologie passt – und was zum großen Schock beim 11. 9. beitrug –, ist das Gefühl von Verletzlichkeit und Ohnmacht. Nicht die Bilder vom Sturm, sondern die Erfahrungen der Hilflosigkeit in New Orleans könnten ein Nachdenken darüber anstoßen, wie groß der amerikanische Beitrag zu „Katrina“ und zu den anderen „Jahrhundertstürmen“ ist.

Nun müssen Umweltschützer keine Horrorszenarien mehr entwerfen und Regisseure keine Computertricks mehr verwenden. Der Horror ist real. Und zwar nicht nur in der Gewalt des Sturms und in der Wut des Wassers, sondern auch in der Lähmung einer Supermacht, den verzweifelten Menschen, den Toten auf den Straßen. Für ihre Kampagnen können sich die Klimaschützer ab sofort ein Argument direkt aus den Marketingstrategien von Hollywood entleihen: Wollt ihr wirklich darauf warten, dass es heißt: „Katrina 2 – Das Grauen kehrt zurück“?

BERNHARD PÖTTER