Barbara Dribbusch über den Wirtschaftsboom in Deutschland: Abgeben wäre sexy!
Die neueste Lieferung kommt aus der Industrie: Die schaffte 2017 einen Beschäftigungsrekord, auch für dieses Jahr sieht es gut aus. Fachkräfte werden gesucht. In Niedersachsen stellen Betriebe jungen Leuten einen Dienstwagen zur Verfügung, damit sie bei ihnen in die Lehre gehen. Wer sich noch an die Zeit nach der Jahrtausendwende erinnert, als monatlich gigantische Arbeitslosenzahlen erschreckten, muss sich die Augen reiben: Damals hätte man den heutigen Beschäftigungsboom nicht für möglich gehalten.
Eigentlich müsste sich angesichts solcher Wirtschaftsdaten in der Gesellschaft nun doch Großzügigkeit breitmachen. Eine dankbare Bereitschaft, sich zu beteiligen am Sozialstaat – mit Steuern, mit Beiträgen für die Kranken- und Pflegekassen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Große Koalition in spe verspricht vor allem „Entlastung“ von Sozialbeiträgen und Steuern, so als trügen die Mitglieder des Sozialstaats schwere Bürden. Abgaben sind unsexy geworden. Das Wort „Erbschaftsteuer“ nimmt nur noch die Linkspartei in den Mund. Dabei ist Beitragsbereitschaft das höchste Gut im Sozialstaat. Aber es scheint, dass die Solidarität mit den Schwachen nicht größer, sondern weniger wird. Was man auch daran sieht, dass im Koalitionsvertrag kaum noch irgendetwas über Hartz IV steht.
Ein Wirtschaftsboom hat immer negative Nebenwirkungen: Die Wirtschaft wächst und mit ihr das Verlustrisiko, der Vergleich, die Angst. Wohnungsuchende fühlen sich durch Mietsteigerungen ausgeliefert. Zeitarbeiter sehnen sich nach einer Festanstellung. Ältere fürchten sich vor vorzeitiger Berufsunfähigkeit.
Der Wert einer Großen Koalition wird sich langfristig nicht an kleinen Geschenken und „Entlastungen“ bemessen, sondern daran, wie sie das Solidarprinzip, die Beitragsbereitschaft, halten und pflegen kann. Man muss die gute Konjunktur sozialpolitisch nutzen, für bezahlbares Wohnen, Bildung, Pflege – und nicht Solidarsysteme für verzichtbar halten, nur weil die Wirtschaft gut läuft.
inland
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