: Wahlkreis Dresden wird deutsches Florida
Tod einer NPD-Kandidatin erzwingt Nachwahl und macht 230.000 Sachsen bundesweit zum Zünglein an der Waage
DRESDEN taz ■ Bei einem knappen Wahlausgang kann es nach dem 18. September möglicherweise wochenlang dauern, bis der Gewinner der vorgezogenen Bundestagswahl feststeht. Wegen des plötzlichen Todes einer Direktkandidatin der NPD ist nach dem Bundeswahlgesetz eine Nachwahl im Dresdner Wahlkreis 160 notwendig. Die dortigen 230.000 Wahlberechtigten könnten bundesweit zum Zünglein an der Waage werden.
Die 43-jährige Dresdner NPD-Direktkandidatin Kerstin Lorenz hatte auf einer Wahlkampfveranstaltung am Montag einen Hirnschlag erlitten, an dessen Folgen sie zwei Tage später starb. Sie war bislang als Bürgerbeauftragte in der NPD-Landtagsfraktion angestellt. Die frühere Landesvorsitzende der „Republikaner“ war nach der faktischen Auflösung des Rep-Landesverbandes zur NPD gewechselt.
„Wir haben ein großes Interesse an einer schnellen Nachwahl“, betonte Landeswahlleiterin Irene Schneider-Böttcher. Sie räumte zugleich ein, dass es organisatorisch kaum möglich sei, noch bis zum 18. September eine gültige Briefwahl durchzuführen. Denn bisher abgegebene Briefwahlstimmen werden nunmehr ungültig, neue Wahlzettel müssen gedruckt werden.
Nach Ansicht von Kai Schulz, Pressesprecher der Stadt Dresden, kommen der 2. und der 9. Oktober als Nachwahltermine in Frage, wobei der frühere als wahrscheinlicher gilt. Auf die Stadt komme eine große organisatorische Herausforderung zu. Ungeklärt blieb zwischen Stadt und Landeswahlleitung, ob neue Wahlbenachrichtigungen verschickt werden müssen. Die Landeswahlleiterin hatte dies verneint und auf die öffentliche Bekanntgabe des neuen Wahltermins verwiesen.
Die NPD in Sachsen sieht keine Möglichkeit, ihrerseits die notwendige Nachwahl zu beschleunigen. „Wir wollen unseren neuen Kandidaten nicht einfach benennen“, sagte Fraktions-Pressesprecher Holger Szymanski. Das darf die NPD laut Parteiengesetz auch gar nicht. Bundeswahlkampfleiter Peter Marx kündigte deshalb für Sonntag eine Sitzung des NPD-Kreisvorstandes an. Voraussichtlich am 13. September werde der dort nominierte Direktkandidat von einer Kreisdelegiertenversammlung gewählt. Pressesprecher Szymanski sprach von „ungewollter Aufmerksamkeit“, die der NPD durch den tragischen Tod ihrer Kandidatin zuteil werde. Der Fall ist in der Geschichte der Bundesrepublik nicht einmalig. Auch 1961 und 1965 musste in zwei Wahlkreisen nachgewählt werden. Der zweite Dresdner Wahlkreis 160 entschied bei den Landtagswahlen 2004 zu später Stunde zugunsten des knappen Einzugs der Grünen in den Landtag. Hier gibt es in der Szene der Dresdner Neustadt ein starkes Potenzial alternativer Lebensformen. Bei den letzten Bundestagswahlen 2002 gewann zwar die CDU-Kandidatin Christa Reichard mit nur 33,8 Prozent das Direktmandat. Bei den Zweitstimmen aber lag überraschend die in Sachsen ansonsten sehr schwache SPD mit 32,9 Prozent vor der Union. Für die NPD stimmten damals nur 0,78 Prozent der Wähler.
MICHAEL BARTSCH