: Versorgt und ungelernt
Trotz des Fachkräftemangels fehlen in Bremen viele Ausbildungsplätze. SchülerInnen kritisieren geschönte Statistiken und Arbeitgeber, die nicht ausbilden wollen
Von Teresa Wolny
7.800 neue Ausbildungsplätze waren bis 2017 für Bremen geplant, 7.300 sind es nur geworden. Auch 2018 gehen daher voraussichtlich wieder viele BewerberInnen leer aus. Auf diesen Mangel weisen bereits seit einigen Jahren SchülerInnen der Gesamtschule Ost (GSO) unter der Leitung ihres mittlerweile ehemaligen Lehrers Hans-Wolfram Stein hin. Im vergangenen Dezember wandten sie sich in einem offenen Brief an PolitikerInnen des Senats.
Neben der Nichteinhaltung der Bremer Vereinbarung, die 2014 die bereits erwähnten 7800 Plätze versprochen hatte, kritisieren die SchülerInnen darin die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA). Diese berücksichtige eine große Zahl von AusbildungsbewerberInnen gar nicht erst und verharmlose so die prekäre Situation: Denn von 96 Prozent der offiziell „versorgten“ BewerberInnen haben nur 37 Prozent einen richtigen Ausbildungsvertrag. Der Rest von ihnen, rund 3.000 Jugendliche, gelten als „versorgt“, obwohl sie sich nur in Maßnahmen oder Praktika befinden.
Der Sprecher des Bremer Wirtschaftsressorts, Tim Cordßen, verweist auf die im Zuge der Ausbildungsgarantie und der Gründung einer Jugendberufsagentur geschaffenen zusätzlichen Ausbildungsplätze, die den Mangel an Plätzen jedoch nicht vollständig kompensierten. „Es geht nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen“, sagt er, aber es lasse sich jedoch nur zählen, was gemeldet ist. Er bemängelt, dass Arbeitgeber unbesetzte Plätze nicht bei der Agentur meldeten, sodass die unbefriedigende Situation nicht gelöst werden könne. Dennoch ist man laut Cordßen mit der Ausbildungsgarantie auf dem richtigen Weg, Anlaufzeiten müsse man in Kauf nehmen.
Karlheinz Heidemeyer von der Industrie und Handelskammer Bremen (IHK) meint hingegen, dass „die bremische Wirtschaft für bremische Jugendliche ausreichend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt“, schuld am Mangel seien vielmehr die vielen BewerberInnen aus Niedersachsen, die in Bremen eine Ausbildung machen.
Jörg Nowag von der Bundesagentur für Arbeit sieht bezüglich der als unvollständig kritisierten Statistiken in Bremen keine Handlungsmöglichkeit. Eine Änderung könne nur bundesweit stattfinden. Stein und die SchülerInnen fordern deswegen eine Bundesratsinitiative, die für mehr Transparenz in der Ausbildungsstatistik sorgen soll.
Weitere Gründe für fehlende Plätze in Bremen sind das verbesserungsbedürftige „matching“, also die Vermittlung zwischen BewerberInnen und ArbeitgeberInnen, die hohe Zahl an AbiturientInnen in Ausbildungsberufen, die niedersächsische Konkurrenz und zu wenig ausbildendes Personal.
Stein sieht in der derzeitigen Situation zwei Möglichkeiten: Entweder man nehme in Kauf, dass viele Jugendliche ohne Berufsausbildung bleiben und daraufhin von Hartz IV und Armut bedroht sind oder man „investiere lieber kräftig in eine Situation, wo noch Chance auf eine Berufsausbildung besteht“.
Sowohl die Armutsquote als auch der Anteil der 30- bis 60-Jährigen ohne Berufsausbildung sind in Bremen bundesweit am höchsten. Laut Stein wird zu wenig Druck auf die Arbeitgeber ausgeübt. Er plädiert für eine Ausbildungsplatzabgabe für nicht ausbildende Betriebe.
Falk Wagner von der SPD Bremen-Stadt sieht das ähnlich. Er hält einen Ausbildungsfonds, wie es ihn bereits in der Bau- und Pflegebranche gibt, für sinnvoll. Wagner betont, dass dies keineswegs eine Strafabgabe für die Betriebe darstelle, da nur innerhalb der jeweiligen Branche umverteilt werde, Ausbildungsleistungen also solidarisch bezahlt würden. Gerade kleine Betriebe, die die Hauptlast der Ausbildung tragen, hätten es schwer – während große Betriebe oft fertig ausgebildeten Kräfte abwerben. Auch Annette Düring, Regionsgeschäftsführerin des Deutschen Gewerkschaftsbunds Bremen steht einem solchen Umlagesystem positiv gegenüber.
Steins Schüler warten derzeit noch auf eine Antwort des Senats auf ihren Brief, in dem sie nach den garantieren Ausbildungsplätzen fragten. Wagner von der SPD ist ihnen für diesen Einsatz schon jetzt „extrem dankbar“, da Auszubildende und BewerberInnen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht präsent genug seien.
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