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Archiv-Artikel

Nach dem Aufstieg war nur vor dem Abstieg

NACHRUF Mit Achim Stocker stirbt einer der letzten Patriarchen des Profifußballs. Den SC Freiburg leitete er seit 1972, ohne hinter dem ökologisch korrekten Image vom linksalternativen Lieblingsklub zu stehen

„Ich werde immer älter und immer blöder und damit immer geeigneter für den Staatsdienst.“ Dieses Bekenntnis von Achim Stocker stammt von Anfang der Neunzigerjahre, und es sagt einiges aus über den Menschen, der seit 1972 die Geschicke des SC Freiburg lenkte. In der Oberfinanzdirektion Baden-Württembergs brachte es Stocker bis zum Regierungsdirektor, den Fußballklub leitete er aus seinem schmucklosen Büro heraus eher nebenher. Das war nicht immer so prickelnd wie ab 1991.

Stocker, der bis dahin in seiner schon damals ungewöhnlich langen Amtszeit als Vereinsvorsitzender die Trainer wechselte wie Fußballer ihre Stutzen, hatte Volker Finke verpflichtet. Und spürte bald, dass da eine neue Ära anbrach. Finke sprach von Aufstieg. Das kam dem Clubboss unmöglich vor. Freiburg und Erste Bundesliga, sagte Stocker damals, das vertrage sich nicht miteinander. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Sie stiegen gemeinsam auf und ab, insgesamt dreimal, sie spielten zweimal im Uefa-Cup und schufen die Marke Sportclub Freiburg.

Dabei war es eine bisweilen sonderbare Symbiose zwischen den beiden. Hier ein systemkritischer Trainer mit sozialdemokratischem Hintergrund, ein Oberstudienrat, der mit Anti-Helden-Kombinationsfußball und Kollektivgedanken die Bundesliga aufmischte. Dort ein wertkonservativer Präsident, für den Lehrer ein rotes Tuch waren. Und der in der Grünen-Hochburg Freiburg gegen Umweltschützer wetterte, weil die etwas dagegen hatten, dass am Spieltag Autos in der Landschaftsschutzzone geparkt wurden. Da konnte Stocker richtig badisch-ungemütlich werden. Später wurde er CDU-Parteigänger.

Aber Stocker wurde auf der Folie des Finke’schen Fußballs mit vereinnahmt. Grün waren sich Präsident und Trainer nie wirklich, aber sie hielten es so lange miteinander aus, weil es auch eine gegenseitige Wertschätzung gab. Stocker ließ Finke machen, und der gab zurück, was der Präsident so lange hatte entbehren müssen: Erfolg und Anerkennung. Und: In schwierigen Zeiten verteidigte Stocker seinen Trainer – manchmal auch gegen seine innersten Überzeugungen. Selbst bei der Schlammschlacht um die Ablösung Finkes nach 16 Jahren war es Stocker, der sich bis zuletzt gegen diesen Schritt sträubte.

Doch mit der Installierung von Robin Dutt stellte Achim Stocker ein letztes Mal sein gutes Näschen unter Beweis. Zumindest schaffte Finkes Nachfolger ebenso den Sprung in die Erste Bundesliga. Aber der gebürtige Konstanzer Stocker wäre nicht Stocker gewesen, wenn für ihn nach dem Aufstieg nicht gleichzeitig vor dem Abstieg bedeutet hätte. Selbst sein Klub attestierte ihm nun in einem Nachruf, seine 37-jährige Leitung sei geprägt gewesen von einer „vernünftigen Portion Pessimismus“.

Die stammt noch aus den Zeiten, als der SC in der Stadt nur die Nummer zwei war. 1972 wurde Stocker Vorsitzender, aber hinter dem Freiburger FC (FFC), dem Club der Honoratioren, geriet das Überleben des eher dem Arbeiter- und Studentenmilieu zugeordneten Sportclubs jedes Jahr zum finanziellen Drahtseilakt. Stocker war der Klinkenputzer, der sich nicht zu schade war, gemeinsam mit seiner ersten Frau die belegten Brötchen für die Pressekonferenz zu schmieren, um ein paar Mark zu sparen.

1978 stieg der Verein in die Zweite Bundesliga auf, 1993 in die Erste und 2004, zum 100. Geburtstag des Klubs, wurde die Freiburger Fußballschule eröffnet. Und zwar in jenem Möslestadion, aus dem der mittlerweile in der Bedeutungslosigkeit versunkene Lokalrivale FFC ausziehen musste. Für Stocker muss das eine späte Genugtuung gewesen sein. Die Stiftung hinter der Fußballschule trägt seinen Namen. Gebaut wurde die Nachwuchsschmiede mit Geld, das Finke auf dem Transfermarkt nicht ausgegeben hatte.

Vor einer Woche erlitt Stocker jenen Infarkt, von dem er sich nicht mehr erholte. Am Sonntag starb er. Dass der Sportclub an seinem Todestag knapp oberhalb der Abstiegsplätze rangiert, dürfte zu Achim Stockers allerletzter Beruhigung beigetragen haben. CHRISTOPH KIESLICH