: Neues vom linken Prediger
Ian Svenonius, Underground-Legende aus Washington, D. C., gab bei seinem Berliner Konzert den großen Zampano und Entertainer, aber seinen vier Mitmusikerinnen schien das keinen Spaß zu machen
Von Jens Uthoff
Der Abend in der Kantine am Berghain beginnt vielversprechend: Ian Svenonius, der große Beschwörer der Heilkräfte des Rock’n’ Roll, betritt mit seiner Band Chain & The Gang gegen Viertel nach neun die Bühne. Seine vier Mitmusikerinnen sind, wie er selbst, in feinsten Zwirn mit Leopardenmuster gehüllt, der im Scheinwerferlicht rötlich und verlockend schimmert. Kaum legt die Band los, springt Svenonius von der Bühne ins Publikum, spricht von Revolution und Katharsis durch Musik und fordert die rund 250 Besuchern zum Call and Response auf: „Let me hear you say: ‚yeah!‘“‚ Auf die Antwort muss er nicht lange warten.
Die Show am Dienstagabend ist die erste auf der Europatour der Band aus Washington, D.C., die im vergangenen Herbst ihr fünftes volles Album, „Experimental Music“, veröffentlicht hat. Sänger Ian Svenonius hat dabei mit seinen diversen Bandprojekten – Nation Of Ulysses, The Make-Up, Weird War oder eben Chain & The Gang, die er seit 2009 betreibt – Legendenstatus im Underground. Zum einen, weil er Soul, Gospel, Blues, Sixties-Spirit und Punk zusammenbringt, zum anderen weil er ein großartiger, ein weirder Performer und orthodoxer linker Prediger ist, der manchmal selbst daran zu glauben scheint, die Welt vom Kapitalismus befreien zu können.
Diesen großen Performer sieht man durchaus auch an diesem Abend. Svenonius jongliert auf der Bühne mit dem Mikro, steckt es sich in den Mund, klopft damit gegen seine Brust und seinen Kopf, gebärdet sich, verwickelt seinen Hals in die Mikroschnur. Und füttert das Mikrofon im Anschluss mit „Uhs“ und „Ahs“ und „Yeahs“, schüttelt den Kopf, zuckt mit den Mundwinkeln. Schaut aus seinen Augen unter den buschigen Brauen hervor wie ein Magier, der wartet, dass man sich ihm opferbereit hingibt. Was in Teilen auch geschieht.
Last days of money
Es ist auch – wie immer bei Auftritten von Svenonius – unterhaltsam, was er da in Spoken-Word-Manier erzählt, während er auf und ab läuft. So spricht er von den „last days of money“, in denen wir leben, oder davon, dass die Revolution nicht bei Spotify läuft („They don’t play revolutionary manifestos on Spotify“). Dann wieder lässt er sein Publikum wissen, dass sie Teil eines geheimen Treffens sind, von dem sie niemandem berichten mögen: „You gotta promise not to tell anybody where you were tonight“ (sorry, ging nicht in meinem Falle).
Und doch ist es ein äußerst merkwürdiger Konzertabend. Denn Ian Svenonius gibt den Zampano, zieht eine One-Man-Show ab, während er sich nicht im Geringsten mit seinen Mitmusikerinnen zu verstehen scheint. Verständlich, dass Gitarristin Francy Graham, Schlagzeugerin Fiona Campbell, Bassistin Shelley Salant und Amanda Perkins, die neue zweite Sängerin, das Set mit dem gleichen Enthusiasmus runterspulen, den ein Postbeamter beim Briefesortieren an den Tag legt. Das schlägt sich natürlich in der Musik nieder – in falschen Einsätzen, in Duettgesängen, die in Grabesstimmung vorgetragen werden. Deutete man die Mienen der vier Musikerinnen richtig, schien es, als hätten sie nicht die geringste Lust, zu dieser Zeit an diesem Ort auf dieser Bühne zu stehen. Man fragte sich, was da los war und ob die wohl eine gemeinsame Tour durchstehen.
Umso erstaunlicher, dass Chain & The Gang trotz dieser Missstimmung vom Publikum – eher Ü40 und Ü50, gut gereifte Jahrgänge – gefeiert werden. Aber sicher, Hits wie „Chain Gang Theme“, „Certain Kinds of Trash“ und „Devitalize“ spielen sie, und Svenonius ist und bleibt ein guter Alleinunterhalter. Am Ende werden gar Zugaben gefordert und gegeben.
Der Moment, der den Abend am besten wiedergibt, ereignet sich nach etwa zwei Dritteln des Sets, als Svenonius im Sprechgesang über fordistische Produktionsverhältnisse sinniert: „Mass production has its appeal“, wiederholt er da mantraartig, und aus dem Publikum antwortet eine Frau: „We can see it!“ In der Tat, an diesem Abend wirkten Chain & The Gang eher wie lieblose Rock-’n’-Roll-Ware als wie die große Band, die sie eigentlich sind.
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