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heute in bremen“Alle haben es gewusst“

Foto: privat

Achim Saur,Jg. 1950,Lokalhistoriker, arbeitet seit 2001 beim Kulturhaus Walle „Brodelpott“ und publiziert u.a. auf: www.Digitales-Heimatmuseum.de

Interview Klaus Wolschner

taz: Herr Saur, wie fanatisiert muss ein Mensch sein, um – wie am 9. November 1938 – wehrlose alte Menschen umzubringen?

Achim Saur: In Lesum etwa gehörten die Täter zu einem SA-Reservesturm, das waren alte Stahlhelm-Leute, Deutschnationale aus der Weimarer Zeit, ehemalige Frontsoldaten aus dem 1. Weltkrieg. Kein SS-Trupp. Diese Männer waren Familienväter aus der Mitte der Gesellschaft.

Kannten die Täter ihre Opfer im kleinen Lesum?

Beteiligt an dem Mord an dem jüdischen Arzt Goldberg war ein Postmann, der kurz zuvor das Telefon dieses 68 Jährigen repariert hatte.

Sie haben die Täter-Motivation aus den Gerichtsakten rekonstruiert?

Den Enkel dieses Postbeamten habe ich einmal gesprochen. Der hatte 1947 seinen Großvater im Gefängnis besucht. In einem späteren Gespräch habe der Großvater gesagt, alle hätten gewusst, dass es zu einer Mordaktion ging. Das haben sie natürlich im Prozess bestritten.

Hat das Gericht 1947 den Ausreden geglaubt?

Szenische Lesung „Scharfmacher und Mitläufer“:

Über die Täter der Mordnacht des 9. November, 20 Uhr, City 46, Birken-strasse 1, Eintritt 5 Euro

Das Gericht hat sich auf die Haupttäter beschränkt, um die, die mitgelaufen waren, als Zeugen vorladen zu können. Der Befehlshaber ist im Revisionsverfahren zu 15 Jahren verurteilt worden. Als er nach acht Jahren freigelassen wurde, hat der Bremer Senat darum gebeten, das nicht an die Presse zu geben. Bei dem Prozess haben sich alle auf die Befehlslage bezogen. Das hielt das Gericht aber für unglaubwürdig.

Wie war denn 1938 die Befehlslage?

Es gab einen Anruf aus Bremerhaven mit der Botschaft, die Juden „sollen weg“. Die beiden führenden Bremen-Norder SA-Führer waren sich nicht einig, was das bedeuten sollte. Der eine, ein alter Nazi, Sturmbannführer Röschmann, hat viele Menschen verhaftet, aber niemanden ermorden lassen. Bürgermeister Köster dagegen, der als Arbeitsloser über die NSDAP erst nach 1933 Parteikarriere gemacht hat, hat dieses „sollen weg“ als Aufruf zum Mord interpretiert. Offensichtlich gab es Handlungsspielraum.

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