piwik no script img

Archiv-Artikel

Gegen die masturbatorischen Interessen

PORNOKUNST Lakonische Witze und der Wille zur Avantgarde zeichneten die pornografischen Filme Radley Metzgers aus. Das diesjährige Pornfilmfestival widmet dem Regisseur eine Retrospektive

Gevögelt wird unter anderem in der Küche, mit einer Packung Frühstücksflocken

VON THOMAS GROH

Für einen Moment lang denkt man an Buñuel, an die Szene aus „Das Gespenst der Freiheit“, in der sich eine Gesellschaft zum gemeinschaftlichen Defäkieren auf Toilettenschüsseln rund um einen Tisch einfindet, nur um sich zum Essen dann ins Private zurückzuziehen. Verkehrte Welt, nur dass man sich hier im Vorraum eines Apartment-Edelbordells mit Ausblick über das New York der späten 70er befindet: Ein etwas verlegener Herr sitzt da am Tisch, niest. Doch statt sich mit dem Taschentuch die Nase zu putzen, öffnet er resignierend die Hose und tupft sich sorgsam das Glied.

„Maraschino Cherry“ heißt nicht nur das sonnige Bordell, sondern auch dieser 1978 entstandene Film, der letzte von insgesamt fünf Pornos, die der ansonsten auf handwerklich hochklassige, von einer gewissen literarischen Intelligenz gekennzeichnete Erotikfilme abonnierte Radley Metzger in den 70ern gedreht hat.

Dreimal wiederholt der Herr in „Maraschino Cherry“ das Abtupfen seines Penis wie selbstverständlich, bis es die neben ihm sitzende Frau doch überkommt und sie ihn fragt: Warum er das denn mache. Nun, man müsse das verstehen, jedes Mal, wenn er niese, habe er einen Orgasmus. Kein Uffza-Täterä, kein Grimassenschneiden, kein altherriges Ellbogengekiekse: So lakonisch wie der Gag aufgebaut wurde, verstreicht er auch wieder.

Der Gag ist somit gut platziert in diesem Film, der mit seiner mondän-urbanen Hochhausmelancholie und der ebenso traurig vor sich hinpfeifenden Musik, die so auch gut in einen Charlie-Brown-Cartoon passen würde, wie ein entspannter Abgesang wirkt. Die absurden Witzeinlagen wirken zuweilen sympathisch matt, wie beiläufig eingestreut. Die Architektur dieses entspannten Films bringen sie nicht zum Einsturz.

Vier der Pornos von Metzger zeigt das 7. Pornfilmfestival in den kommenden Tagen als Teil einer dem „goldenen Zeitalter“ der Pornografie gewidmeten Retrospektive. In gewisser Hinsicht betreibt das Festival damit Geschichtsarbeit im eigenen Interesse: Einen Namen hat es sich damit gemacht, dass es abseits lustlos rabiater Onlineclips nach ästhetisch wagemutigen Strategien zur filmischen Darstellung von Sex Ausschau hält, ohne sich auf den Pornofilm zu beschränken.

Im Pornofilm der 70er Jahre wird solche Schürfarbeit freilich mehr als fündig: Mit teils beträchtlichem Aufwand auf 35 Millimeter gedreht, entstanden in einem kurzen Zeitfenster „echte“ Filme mit pornografischen Szenen, die auf Eindeutiges zwar hinauswollten, aber mit Fantasie, Einfallsreichtum und einem Schuss Subversivität ans Werk gingen. Auch weil Radley Metzger schon vor seinen Pornos Filme gedreht hat und weil er tatsächlich weniger Geschäftsmann als Ästhet ist, zählen seine Pornos zur Königsklasse.

Metzgers Filme sind urban und teils, wie etwa der ebenfalls gezeigte „Barbara Broadcast“, vor herrlichen Kulissen gedreht. Sie sind auch in den Sexszenen an Gebrauchsfilmbedürfnissen eigentümlich vorbeiinszeniert: Bei Metzger haben Menschen Sex: Mal naiv, mal spielerisch, mal wilder, mal leicht plump, wie Sex eben sein kann, doch immer sinnlich. Die Darsteller treiben es eher miteinander statt für den Zuschauer.

Vom verzärtelten Kunstwollen der Weichzeichner-Erotik ist das zum Glück ebenso weit entfernt, wie vom Leistungs- und Akrobatikdiktat, das sich im Pornofilm nach seiner Video-Industrialisierung durchgesetzt hat. Andere Filme der Reihe sind weitaus dunkler, bizarrer, aber keinen Deut uninteressanter. Berüchtigt ist „Behind the Green Door“ vor allem für einen fulminanten Slowmotion-Cumshot gegen Ende. Dessen Exzess schlägt in einen minutenlangen, von psychedelischer Musik ummantelten Experimentalfilm um: In zahlreichen Einstellungswiederholungen mit immer neuen, grellen Farbverschiebungen und Bildspiegelungen sucht der klassische Pornofilm hier schon frühzeitig die Nähe zu Avantgarde und Subkultur. Eine Entwicklung, die mit dem jegliche masturbatorischen Interessen endgültig unterlaufenden „Nightdreams“ von 1981 vollzogen ist: Geschrieben vom späteren „Alf“-Drehbuchautor während einer Heroinabhängigkeit, reiht sich hier in einem wahrhaft surrealen Rausch ein bizarres Setting ans andere: Gevögelt wird unter anderem mit Dämonen in der Hölle oder in der Küche, dort aber mit einer Packung Frühstücksflocken, während dazu ein Toastbrot Saxofon spielt, gekrönt von einer abschließenden Parodie auf Blümchensex, der am Ende eines solchen wahnwitzigen Ritts als die eigentliche Obskurität erscheint. So wunderbar verstörend kann das Kino sein.

■ 24. bis 28. Oktober. Programm unter: www.pornfilmfestivalberlin.de