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Der Osten glüht rot

Elektronische Tanzmusik aus Tansania und Uganda: Bampa Pana und Nihiloxica beim Berliner Festival CTM

Foto: Nyege-Nyege

Von Sophie Jung

Kurz wummert Tekkkkkno. Vorm inneren Auge zeichnet schon ein grüner Laser fünf fette Ks in den dichten Kunstnebel einer Betonhalle, die kurzfristig zum Club umgewandelt wurde. 1994 ist das vielleicht. Und Sven Väth waltet als dunkler Beschwörer von Bass und Hi-Hat über die ravende Partymasse. Doch wirklich in nur knappen Passagen verdichten die Produzenten von Sisso den Beat ihrer Tracks zu diesem totalen Maschinenbeben, wie es in den Neunzigern durch Clubs wie das Frankfurter Omen schallte. Dann bricht es abrupt ab. Sisso lassen folgen: hektische Percussion, dahingerotzter Rap in einer unbekannten Sprache, hochgepitschte Vokalfetzen, provokative Höhen erreichende Keyboards, flirrende Marimbas. Und nachdem sie all dies in rasenden Loops hochgeschraubt haben, fällt der Sound zu einem tief in die Lenden gehenden Ragga zusammen. Mit Begriffen westlicher Popmusik könnte man sagen: Die Haltung des tansanischen Produzentenkollektivs Sisso ist Punk, ihr Sound ist Tribal-Hardcore-Ragga-Folk. Sisso selbst würden ihre Musik schlicht als Electronic Dance Music bezeichnen. Sie kommt aus den Straßen von ­Daressalam, Hauptstadt Tansanias.

„Wenn du Sisso hörst, denkst du, du bist auf einem Rave, aber die Jungs wissen nicht, was das ist. Weder kennen sie den Sound noch die Partykultur“, sagt Arlen Dilsizian. Er hat 2016 gemeinsam mit dem Belgier Derek Debru das Label Nyege-­Nyege Tapes gegründet. Sisso Records werden von Nyege-Nyege (Suaheli, übersetzbar als „Das unbedingte Bedürfnis zu tanzen“) vertreten. Mit Sitz in Kampala im ostafrikanischen Uganda ist der Musikverlag von Dilsizian und Debru im letzten Jahr urplötzlich bekannt geworden. Nyege-­Nyege vermittelt zwischen einem musikalischen Mikrokosmos und einer globalen Hörerschaft: Das Label veröffentlicht Musikerinnen aus Ostafrika, die in ihren DiY-Produktionen den Sound ihres Straßenblocks aufgreifen, und schickt ihn in die Welt hinaus. In Warschau und Los Angeles werden Alben von Sisso aus Daressalam, Alai K aus Nairobi und Otim Alpha aus Kampala bestellt.

Am Freitag tritt Bampa Pana vom Sisso-Kollektiv im Rahmen des CTM-Festivals im Berliner Berghain auf. Dann kommen europäische Technokultur und der extreme Partysound aus den Ghettos von Daressalam zusammen, die – obwohl an zwei so unterschiedlichen Orten auf der Welt entstanden – doch miteinander verbunden sind, als hätte die Musikgeschichte sie über den Globus geschnippt. Vom Mikrokosmos des Straßenblocks in Daressalam zum Makrokosmos einer globalen Clubszene – „was zwischen den Menschen ist, ist Infrastruktur“, schreibt der Soziologe AbdouMaliq Simone. Nyege-Nyege Tapes ist diese Infrastruktur. Mit einem Studio in Kampala, einem Residency-Programm für Musiker und einer Partyreihe, die kürzlich in ein Festival mündete, unterstützt Nyege-Nyege alles, „was nicht Mainstream ist“. Dabei vertritt das Label einen Stil, den sie allgemein als „Outsider Music“ aus Ostafrika bezeichnen.

Während einer dieser Residencies entstand auch die Formation Nihiloxica: sieben Percussionisten aus Kampala und der Brite Peter Jones. Seit 2017 arbeiten sie zusammen, auch sie treten im Rahmen des CTM auf. Die Percussionisten bilden ein minimalistisches Beatgerüst, das Peter Jones vor eine düstere Synthesizerkulisse stellt. Nur langsam holt Jones Töne aus einer nebulösen Tiefe an die Oberfläche, verzahnt sie mit den furiosen Drums und lässt sie dann wieder in der Tiefe verschwinden. Tatsächlich greift Jones etwas von der britischen Industrial-Band Coil auf. Und schon wieder glüht die westliche Popgeschichte in der Interpretation dieser Musik auf. Womöglich geschieht dieser Rückgriff auf Bekanntes nur aus Verlegenheit, weil es schwerfällt, den Sound von Nihiloxica in Worte zu fassen.

Live in Berlin: Bampa Pana von Sisso Records am 2. Februar im Berghain und Nihiloxica am 3. Februar im Yaam

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