piwik no script img

Die Poesie des Sprechgesangs

Die Dokumentation „Anne Clark – I‘ll Walk Out Into Tomorrow“ ist weit weg von konventionellen Künstlerporträts. Das liegt nicht nur an der Musikerin Anne Clark selbst, sondern auch an der besonderen Herangehensweise des Filmemachers Claus Withopf

Von Wilfried Hippen

Stampfender Beat des Schlagzeugs, sich wiederholende Tonfolgen des analogen Synthesizers und rezitierte Texte, vorgetragen, nicht gesungen, mit einer aufmüpfigen Stimme, alles präzise im Rhythmus: Man braucht nur ein paar Takte zu hören, um einen der Hits von Anne Clark wie „Our Darkness“ oder „Sleeper in Metropolis“ aus den 80er-Jahren zu erkennen.

Sie war eine der Ikonen des New Wave. Zumindest in Deutschland, denn hier zulande war sie von Anfang an viel erfolgreicher als in ihrem Heimatland Großbritannien. Da ist es dann auch nur konsequent, wenn ein deutscher Filmemacher die erste Dokumentation über die Poetin und Spoken Word Künstlerin macht.

Claus Withopf ist ein großer Fan von Clark. Und als er nach einer Reihe von Kurzfilmen seine erste lange Dokumentation in Angriff nimmt, entschied er sich dafür, eine Künstlerin zu porträtieren, die er bewundert. Denn er wusste, dass es eine schwierige und langwierige Arbeit werden würde und da war etwas „Herzblut“ dringend nötig. Dass es dann wegen der schwierigen Finanzierung zehn Jahre dauern würde, um den Film fertigzustellen, konnte er sich damals aber auch nicht vorstellen.

Zu filmen begann Withopf gleich, nachdem er die Zustimmung von Anne Clark bekommen hatte. Und so ist seine Dokumentation „Anne Clark – I’ll Walk Out Into Tomorrow“ nun, eher unbeabsichtigt, eine Langzeitbeobachtung geworden, die von der Bremer Firma Kineskope Film koproduziert wurde.

Herausgekommen ist ein Film, weit ab von den gewohnten, konventionellen Künstlerporträts. Der Film beginnt zwar mit einem ihrer Videoclips, aber statt die Zeit ihrer großen Erfolge abzufeiern, bleibt es bei nur wenigen kurzen Archivaufnahmen aus jener Zeit. Auch die sonst so beliebte Dramaturgie vom „Aufstieg und Fall“ inte­ressiert Withopf nicht wirklich: Anne Clark erzählt zwar im Film davon, dass während ihrer ersten großen Tournee der Manager mit dem Geld durchbrannte und sie dann auch noch vom Plattenlabel Virgin fallengelassen wurde. Aber diese Katastrophe ist der Startpunkt, den Wit­hopf als einen Katalysator für die schöpferische Entwicklung von Clark versteht.

Withopf interessiert nicht das Pop-Phänomen Anne Clark, sondern die Künstlerin und ihre Poesie. Um die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf ihre Texte zu lenken, hat er mit der Designerin Rosa Schmieg eine typografische Animation gestaltet, deren Schriftsatz extra für diese Sequenzen entwickelt wurde. So tanzen die Worte im Rhythmus der Musik auf der Leinwand und wenn Anne Clark ein Gedicht von Rilke in Englisch interpretiert, kann man dazu die Originalzeilen lesen.

Auch mit anderen visuellen Stilmitteln versucht Withopf der Poesie von Clark gerecht zu werden. In einer Sequenz hat er eines ihrer Gedichte mit einem kleinen analogen 16-Millimeter-Experimentalfilm illustriert.

Konventioneller sind dagegen die Aufnahmen von Nordlichtern, mit denen Withopf ein Stück aus der norwegischen Phase von Clark bebildert. Nach ihrem finanziellen Fiasko zog sich Anne Clark nach Norwegen zurück und machte dort, wie sie selber sagt, „lange gar nichts“. Doch dann lernte sie norwegische Musiker kennen und adaptierte mit ihnen ihren Stil des Sprechgesangs für akustische Instrumente.

Ihre Heimat ist ihr dagegen fremd geworden – so sieht London für Anne Clark inzwischen tatsächlich wie Metropolis aus

Danach wechselte sie immer wieder zwischen elektronischen und akustischen Einspielungen, und Withopf sind ein paar Sequenzen von Proben sowie Arbeiten im Tonstudio gelungen, die einen guten Eindruck davon vermitteln, wie ihre Stücke sich im Dialog mit den Musikern entwickeln. Interessant dabei ist, dass sie dafür in den letzten Jahren mit einem Pianisten aus Leipzig und einer Gruppe von Instrumentalisten aus dem Allgäu zusammenspielt.

Ihre Heimat ist ihr dagegen fremd geworden – so sieht London für sie inzwischen tatsächlich wie Metropolis aus. Für den Film besucht sie noch einmal die Gegend, in der sie aufgewachsen ist. Der Londoner Vorort Croyden ist heute noch genauso hässlich wie er es damals war, und Clark erzählt, dass sie als Arbeiterkind von allen schief angesehen wurde, weil sie sich für Poesie, Tanz und Theater interessierte. Nur „Punk and New Wave“ habe sie es zu verdanken, dass sie aus diesem Milieu herauskam. Immerhin kamen auch David Bowie und Depeche Mode aus dieser Gegend.

Ein wichtiger Ort für ihre Entwicklung war die psychiatrische Klinik Cane Hill in ihrer Nachbarschaft, in der sie als Schülerin ein Praktikum machen musste und später dann einen Job als Hilfskraft annahm, bis sie Zeugin von Misshandlungen der Patienten wurde und kündigte. Diese Erfahrungen inspi­rierten sie dazu Gedichte zu schreiben. Als Withopf mit ihr dort Aufnahmen machte, war das Klinikgebäude vollständig abgerissen, und es blieb nur ein Trümmerfeld – eine perfekte Metapher. Diese und die Bilder von Anne Clark, die in dieser urbanen Ödnis ein Gedicht vorträgt, gehören zu den stärksten Eindrücken des Films.

Einer ihrer Songs hat den Titel „I don’t need your gods“ und kurz nachdem sie ihn interpretiert, sieht man sie bei einem Auftritt in einer Kirche in Jena. Dass sie als „former punk rocker semireligious concerts in churches“ geben würde, habe sie sich nie erträumen lassen. Ein Satz, der zeigt, dass sie bei all dem Weltschmerz in ihren Texten auch Humor hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen