Adrian Schulz Jung und dumm: Neulich fastan den eigenen Nasenhaaren erstickt
Sagt eine Frau zum Arzt: „Schalten Sie bitte alle lebenserhaltenden Maßnahmen ab.“ Sagt der Arzt: „Aber Ihre Mutter liegt doch gar nicht im Koma!“
Wie so vieles andere (Krieg zum Beispiel – um die letzten Samensmoothies im Rewe) ist auch das Alter jungen Menschen nicht so fremd, wie man denkt. Diverse Leiden plagen den gerade eingerasteten Körper wie die Weidekuh die Sorge um ihr Eigenheim. Ständig kracht es, knackt es, bröselt es ins Auge hinein; dauernd juckt es, zuckt der Oberschenkel und der Student muss aufs Klo. Er hat Gallen-, Harn- und Nierensteine und könnte mit seinem Zahnfleischbluten die Donau bis nach China schwemmen. Ganze Tage verbringt er im Wartezimmer von Zahnärzten, Hausärzten, Gesundärzten, muss unter Schmerzen Plastik und Metall in sich reinrammen lassen, die doch das Grauen nur perpetuieren. Und schon wieder einen Finger weniger. Volkskrankheiten wie Gicht, Artrose, eitrige Wunden und Verfaulungen drohen und nahen und kommen; unvorstellbare Müdigkeit verhindert noch den letzten klaren Gedanken.
Neulich wäre ich fast an meinen eigenen Nasenhaaren erstickt. An einen Bestellkatalog mit einem speziell auf Senioren zugeschnittenen Angebot an Haushalts- und Gebrauchswaren dachte ich in diesen Minuten: Hatte ich einige Wochen zuvor nicht, neben Bergen an Windeln, Hornhautrasplern und Linzer Schnitte, einen Nasenhaarschneider gesehen, mit extra abgerundeten Klingen, für nur hundertdreißig Euro? Was hätte ich in dem Moment nur dafür gegeben! Meine Frisbeescheibe zum Beispiel oder einen kaputten Stuhl. Aber wem überhaupt? Und woher hätte dieser Jemand wissen sollen, wo ich wohne? Und dass ich ihn brauche?
Andersherum sind viele Senioren gar nicht so seniorig wie vermutet. Agile Fitness-Rentner mit moderner Trekking-Kleidung terrorisieren die Landschaft, lärmen umher und töten Schulkinder.
„1914–1918
1939–1945
Ihr Geist lebt weiter.“
So las ich neulich auf einem Denkmal für deutsche Soldaten, an dem ich auf einer Bahnfahrt nach Tauberbischofsheim vorbeikam: Ihr Geist lebt weiter. Das ist ja gerade das Problem, dachte ich. Und nicht nur ihr Geist – auch ihre tellergroßen Ohren und monumentalen Gesichtszüge werden jedes Jahr mächtiger, zahl- und facettenreicher. Der Nachschub an Rentnern ist unüberschaubar, unendlich sogar.
Die Fünftage-vorschau
Do., 25. 1.
Jürn Kruse
Nach Geburt
Fr., 26. 1.
Franziska Seyboldt
Psycho
Mo., 29. 1.
Kefah Ali Deeb
Nachbarn
Di., 30. 1.
Sonja Vogel
German Angst
Mi., 31. 1.
Michael Brake
Nullen und Einsen
kolumne@taz.de
Angesichts der Seniorenschwemme greifen betroffene Kommunen zum Teil zu drastischen Maßnahmen. So werden in Belgien Nummernschilder an Alte vergeben: An Tagen mit geradem Datum darf nur raus, wer eine gerade Nummer besitzt, an ungeraden nur der mit ungerader Nummer. Pfiffige Start-up-Unternehmer bieten mobile Einfrierdienste an; die sogenannte Rentnerpfeife sorgt unterwegs wie zu Hause für Ruhe.
Wie die Nasenhaar-Krise ausgegangen ist? Das habe ich leider vergessen. Verzeihen Sie bitte.
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