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Das falsche Leben im falschen

Ola Mafaalani inszeniert „Kinder des Paradieses“ nach dem Filmklassiker „Kinder des Olymp“ am Berliner Ensemble

Von Tom Mustroph

Akrobaten bevölkern die Bühne des Berliner Ensembles. Sie lassen Bälle durch die Luft wirbeln. Ein starker Mann hebt andere Personen gekonnt in die Luft. Es gibt auch noch eine hübsche Reifennummer. Ansonsten gerät Ola Mafaalanis Theateradaption des Filmklassikers „Kinder des Olymp“ und dessen atemberaubender Entstehungsgeschichte zu einem so aufwendigen wie langatmigen Erklärstück. Die absurde, so bedrohliche wie jeglicher Bedrohung ein lässiges Schnippchen schlagende Atmosphäre von Marcel Carnés Film „Les Enfants du Paradis“ (deutscher Titel „Kinder des Olymp“) im von der deutschen Wehrmacht besetzten Paris will sich auch trotz eines auf die Bühne gefahrenen Dreiradlieferwagens der 40er Jahre nicht herstellen.

Ein Ensemble aus jüdischen Künstlern und Résistance-Mitgliedern, einem Antisemiten und einer Geliebten eines deutschen Offiziers drehte unter dem Besatzungsregime, mitten im Zweiten Weltkrieg und auch während der Judendeporta­tio­nen, einen melancholischen Liebesfilm im Künstler- und Schaustellermilieu des 19. Jahrhunderts. Sie drehten einen Kostümfilm, den bis dato teuersten französischen Film überhaupt, während Millionen starben, an den Fronten, in den Konzentra­tionslagern, in den Gettos.

Die Dreharbeiten standen unter Kollaborationsverdacht, trugen sie doch bei zur Illusion von Normalität in Zeiten, in denen nichts mehr normal war. Hauptdarstellerin Arletty erhielt zudem von der Résistance Morddrohungen wegen ihrer Affäre mit dem Offizier Hans-Jürgen Soehring. Sie saß deshalb bei der Premiere des Films im mittlerweile befreiten Paris im Ge­fängnis. Ihr half nicht einmal, dass sie auf dem, wie sie es nannte, „Schlachtfeld der Liebe“ während der Affäre mit Soehring eine weitere mit der Aristokratin Antoinette hatte, die selbst der Résistance angehörte.

Nach dem Willen Carnés sollte der Film die Überlegenheit der französischen Kultur gegenüber dem Besatzergehabe der deutschen Landser demonstrieren – auch wenn dies bei dem weltgewandten Di­plo­ma­ten­sohn Soehring recht schwer gefallen sein dürfte. Die Dreharbeiten boten aber auch Schutz vor Zwangsarbeit, Gefängnis und Deportation. Sie waren tatsächlich eine Form des Widerstands, künstlerisch wie pragmatisch.

Regisseurin Mafaalani braucht lange, bis sie zu diesem Komplex gelangt. Eine Stunde lang buchstabiert sie zunächst den Film durch. Das ist viel verschenkte Zeit, weil einige Darsteller mit ihren historischen Rollen arg fremdeln. Kathrin Wehlisch, für Stephanie Eidt als Garance eingesprungen, taucht vor allem unterkühlt aus dem Brunnen der Wahrheit auf, in den sie von Mafaalani noch vor dem Einlass des Publikums gesteckt wurde.

Felix Rech als Frederick, einer der Liebhaber, rettet sich ins Halbclowneske. Hölzern versemmelt er später jene Sequenz, in der er als Frederick-Darsteller Pierre Brasseur – Vater von Claude – vom One-Night-Stand mit einer blonden deutschen Besatzungssoldatin berichtet und damit seine „Kollaboration“ beichtet.

Im zweiten Teil steckt Mafaalani all das, was die Atmosphäre des Stoffs ausmacht, die wilden Drehbedingungen eben, in einen dumpfen Chorus. Was als Verneigung vor Brechts Lehrstücken im Berliner Ensemble gedacht sein mag, ist vor allem eines: belehrend.

Eindrücklichste Szene des dreistündigen Abends ist dann die zwischen Antonia Bill als Nathalie und Wehlisch als Garance, in der Nathalie die sechs Jahre Ehe mit ihrem Baptiste verteidigt, der seinerseits die ganze Zeit über in Garance verliebt war. Und Garance gibt Na­tha­lie zu verstehen, dass sie trotz ihrer Abwesenheit über all diese Jahre ebenfalls in Baptiste verliebt gewesen sei.

Die eine verteidigt eine Ehe mit nur einseitiger Liebe, die andere bekennt sich zu einer Liebe, die sie nicht lebte – viel falscher können Leben kaum sein. Und das als Quintessenz dieser Filmgeschichte? Eine Enttäuschung.

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