piwik no script img

Sie wollen doch nur spielen

Mit der neuen Ausstellung „Spiel“ deckt des Blaumeier-Atelier die Spannung zwischen harmlosem Spaß und urtümlicher Entgrenzung im Wettkampf auf. Fast nebenher stellt sie dabei die Sehgewohnheiten der BesucherInnen auf den Kopf und weckt herrliche Verunsicherung

Von Jan-Paul Koopmann

Was in den Köpfen dieser Kinder vorgeht, lässt sich nur erahnen, aber Sorgen macht man sich doch. Über ihren Köpfen hängt ein schwarzer Vorhang, die Körper pressen sich mit dem Rücken an die Wand, die Arme stramm angelegt. Hieße die Ausstellung des Blaumeier-Ateliers nicht „Spiel“, man hätte bei dem Gemälde von Parivash Hoppe ein Folterbild vor Augen.

Also, die Kinder spielen Verstecken, klar, aber das Unbehagen bleibt. Und es zieht sich auch durch andere Werke dieser Schau: leere Schaukeln neben anderem verwaisten Spielgerät. Kinder, in deren verzückten Gesichter oft etwas Fratzenhaftes durchschimmert. Das ist ein dezenter Unterton, der schwer zu fassen ist. Eine Frage der Technik ist es nicht, es zieht sich durch spontane Kohlezeichnungen, Druckgrafiken und genauso durch mehrschichtigen Acryl-Arbeiten.

Zum Teil jedenfalls liegt es im Thema. Das Spielerische, dem sich dieses Blaumeier-Projekt seit August 2016 widmet, bedeutet ja immer Entgrenzung. Und wie die Gesamtheit der ausgestellten Arbeiten den Zwiespalt von spielerischer Entspannung und den Umschlag über den Wettbewerb in Streit aufgreift, ist tatsächlich bemerkenswert.

Doch ganz so einfach ist es eben auch wieder nicht. Es ist auch eine Folge von Blaumeiers inklusivem Ansatz, im Atelier (und ebenso im Theater, den Werkstätten und anderen Kunstformen) Menschen mit und ohne Diagnose gemeinsam arbeiten zu lassen. Wie üblich weist auch die aktuelle Ausstellung unter den Bildern nur die KünstlerInnen und die Werktitel aus – Hinweise auf die Lebensumstände oder gar Krankheitsbilder hingegen nicht. Und das muss einen als Betrachter verunsichern. Weil man eben wenig weiß und Blaumeier eben keine Art-brut-Grotesken ausstellt. Trotzdem steht die Frage doch im Raum: Ist dieser Künstler krank oder gesund? Ja, was hat er denn? Und was geht mich das eigentlich an?

Und eben wirft einen der Gang durch „Spiel“ brutal auf die eigenen Vorurteile zurück. Gar nicht mal nur wegen dem, was man so schnell wie unzureichend als „Normalität“ begreift. Da ist zum Beispiel so ein Bild von Leonie Kramer, „Lange Glieder“ heißt es. Es zeigt ein Klettergerüst, auf dem schattenhafte Kindergestalten herumturnen. Es wirkt massiv, obwohl die leicht geschwungene Konstruktion scheinbar frei in der Luft schwebt. Wer in den vergangenen Jahren mal den Fernseher an hatte, der denkt unweigerlich an die Grenzzäune der Festung Europa.

Oder dramatischer noch: Eine kleine Serie von Sohivash Malek zeigt Schattenrisse von Kindern, die bunte Luftballons vom schwarzen Boden in einen grünen Himmel aufsteigen lassen. Ein Kind lässt einen Drachen steigen. Schwarz vor dem grünen Himmel ist ein weißer Schriftzug darauf: „Spiel“ steht da – auf Farsi. Aber schon von Weitem meint man kurz, das Banner des sogenannten „Islamischen Staates“ zu erkennen. Keine Ahnung, ob der Eindruck gewollt ist, wahrscheinlich ist er es nicht.

Der Gang durch die Ausstellung wirft einen brutal zurück auf die eigenen Vorurteile und Sehgewohnheiten

Und wenn Kunst das leistet: Dass man da steht und in solcher Schlagzahl mit den Sehgewohnheiten seiner kulturellen Prägung, seines Medienkonsums, seines unbewussten Denkens und so weiter konfrontiert wird – dann hat sie ihre Sache gut gemacht.

Die Ausstellung aber darauf zu reduzieren, wäre großer Quatsch, gerade weil das Projekt eine zwar oberflächliche, aber doch echte Freude und Verspieltheit transportiert. Bis hin zum Katalog übrigens, der diesmal nicht in Buchform erscheint, sondern als Spiel, als Memory mit Motiven der Ausstellung.

Und die Ambivalenz, merkt man dann, die hat man selbst mitgebracht, und sie wirkt, weil die KünstlerInnen genau hingesehen haben. Auf Spielplätzen, beim tatsächlichen Spiel miteinander, oder auch in einer Spielkartenfabrik auf Exkursion nach Stralsund. Eigentlich ganz harmlos – sollte man meinen.

„Spiel“ ist bis zum 18. April bei der Kassenärztlichen Vereinigung in der Schwachhauser Heerstraße 26/28 zu sehen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen