: Wer weiß schon wohin?
CASIO-SCHREDDER-ROCK Auch die Texte feiern auf dem neuen Bonaparte-Album „Sorry, We’re Open“ längst nicht mehr und erzählen stattdessen von der Unmöglichkeit zu wissen, wohin die Reise gehen soll. Immerhin: der Humor ist laut, gallig und grell-komisch
VON MICHAEL SAAGER
„Oft möchte ich“, verriet der Schweizer Tobias Jundt dem hauptstädtischen Stadtmagazin Tip, „die Stadt in Schutt und Asche legen“. Die Stadt heißt Berlin – Jundts Wahlheimat, der er durchaus einiges zu verdanken hat. Seine Band Bonaparte zum Beispiel und nicht zuletzt ihren Erfolg. In Berlin sind Bonaparte weltberühmt.
Wenn Gitarrist und Sänger Jundt, der derwischartig rumtobende Chef-Quirl dieses knallbunt zusammengewürfelten Haufens, in dem Song „Quarantine“ vom neuen Album „Sorry, We’re Open“ singt: „I’ve made one mistake in my life / I should have burned Berlin down“, dann spielt er mit diesem Zitat Napoleon Bonapartes auf jene Hassliebe an, die ihn auf jeden Fall mit Berlin verbindet: Wetter kacke, halbe Stadt verkauft; auch die legendäre Spaßanstalt für Dauerdruffis, die Bar 25, ist bekanntlich schon Geschichte. Weil das Grundstück an der Spree an einen Großinvestor verhökert wurde, was Jundt bis heute wurmt.
Man kann es schon verstehen – es gibt schließlich Schöneres, als dabei zusehen zu müssen, wie die letzten freien Tummelplätze Berlins unter den Hammer kommen. Viel ist nicht mehr übrig. Zudem entstammt „die Band“, ein loses Kollektiv aus wechselnden Musikern und nicht so musikalischen Freunden, die sich dafür lustig verkleiden, komisch tanzen können und sich gerne ausziehen, dem Umfeld der Bar 25. Aber eigentlich …
Eigentlich sind Bonaparte ein Netz-Phänomen. Oder zumindest auch. „Anti-Anti“, dieser schrill-stumpfe Tanzüberhit des Debüts „Too Much“ aus dem Jahr 2008, hatte sagenhafte 1,5 Millionen Klicks auf Youtube. Das noch einmal zu toppen, dürfte unmöglich sein. Man hat sich längst an Bonapartes amphetaminseligen Blechbüchsen-Sound gewöhnt. Und Youtube ist – genau wie die Liebe und die Jugend – auch nicht mehr das, was es mal war.
Wenn man dem 34-Jährigen so zuhört, wie er einem Interviewer nach dem anderen in schlaffem Tonfall erklärt, dass er, ach ja, nicht mehr wirklich in Berlin sein müsse, obwohl die Stadt schon noch irgendwie okay sei, und er außerdem, als Familienvater, der derbe Ausgeher nicht mehr sei, dann wundert man sich fast über die hitzige Energie des dritten Albums „Sorry, We’re Open“.
Schließlich feiern auch die Texte nicht. Sie erzählen stattdessen kleine Geschichten von sinkenden Schiffen, von Drogen, die nicht mehr reinhauen, von verrutschter Kommunikation und von der allgemeinen Sprachlosigkeit; vor allem erzählen sie von der Unmöglichkeit zu wissen, wohin die Reise gehen soll. Aber wer weiß das schon?
Allerdings, der Humor ist einigermaßen laut, gallig, grell-komisch: „Dings genommen, eingepennt / schon wieder nicht den Müll getrennt.“
Weil das so ist, passt der Sound eben doch ganz gut. Und was sollten Bonaparte denn auch anderes spielen? Nix gelernt außer Casio-Gitarren-Schredder-Electro-Rock’n’Roll! Alles ein wenig hingepfuscht, absichtlich natürlich. Unter allerhand Verzerrungen, Quietschen und Rumpeln lugt vorsichtig das Songwriting hervor, das bei genauerem Hinhören tatsächlich besser ist, als man erwarten würde. Man kann sich also durchaus die Platte geben.
Doch was es vor allem braucht, das ist die Liveband. Und so lange Jundt sagt: „Am Ende des Tages ist Berlin immer noch eine wunderbare Stadt, um zu sein“, so lange kriegt man sie vermutlich auch weiterhin, die gewohnte Live-Dosis Bonaparte.
■ Bremen: Do, 25. 10., 20 Uhr, Schlachthof, Findorffstraße 51; Hannover: Fr, 26. 10., 20 Uhr, Capitol, Schwarzer Bär 2; Hamburg: Mi, 19. 12., 20 Uhr, Große Freiheit 36