Uli Hannemann Liebling der Massen: Wie die Gegenstände, die aussehen wie ein Gesicht, starre ich leer vor mich hin
Normalerweise bin ich ja für meine Fröhlichkeit berühmt. Rohrbruch, Ersatzverkehr, Kacke am Schuh: egal was passiert, ich habe immer gute Laune. Natürlich eckt man damit bei den Sauertöpfen, die mir meine Einstellung bloß neiden, auch mal an. So wurde ich, als ich neulich über einen saulustig aussehenden Sturz eines Radfahrers lauthals lachen musste, von spröden Spaßbremsen in Sanitäteruniform gefragt, was um Gottes willen ich denn da täte. Meine Antwort war ganz einfach: „Ich freue mich. Wie immer.“
Doch irgendwas in mir ist nun zerbrochen. Die Jahreszeit hat mich kleingekriegt. Das einzig Gute am Winter ist, dass man früher anfangen darf zu trinken, weil es eher dunkel wird. Das ist meine letzte kleine Freude.
Ansonsten habe ich keine Lust auf gar nichts. Wie diese „Gegenstände, die aussehen wie ein Gesicht“, die ständig gepostet werden – Häuser, Schränke, Stromkästen, Klappsitze –, starre ich leer vor mich hin. Absolute Antriebsschwäche, vollkommene Unfähigkeit, zu arbeiten. Die ersten paar Wochen klingelt noch das Telefon (Mutter, taz, Bewährungshelferin). Mit der Zeit dann immer seltener, bis es schließlich verstummt.
Eine aschfahle Fratze, die lautlos vor sich hin winselt
Jetzt könnte man eigentlich denken, macht doch nichts und ist doch super: Das ist Freiheit! Keiner will mehr was von mir, keiner hat noch irgendwelche Erwartungen an mich. Da könnte ich mich doch ganz bequem in dem weichen Sessel der Gleichgültigkeit zurücklehnen und mich aufs prächtigste gehenlassen. Wenn nur diese trübe Grundstimmung nicht wäre. Die nervt.
Blicke ich in den Spiegel, sehe ich statt der üblichen verschmitzten Pausbäckchen nur eine aschfahle Fratze, die lautlos vor sich hin winselt.
Was ist nur mit mir los? Als ich die Begriffe „Null + Bock + auf + nix“ eingebe, stoße ich auf das sogenannte Glückshormon Serotonin, das für erholsamen Schlaf, Ausgeglichenheit und Lebensfreude sorgen soll. Ob es das ist?
Aber ausgeglichen bin ich ja. Sehr sogar: immer gleichmäßig niedergeschlagen. Doch spätestens als ich den Menschenauflauf unter meinem Balkon bemerke, von dem ich seit Stunden, nur mit einem dünnen, grauen Hemdchen angetan, klagend herunterrufe: „Oje, oje, bald kommt der böse Schnee, dann tut es noch mehr weh“, wie sie mich mit ihren Smartphones filmen und „Spring doch!“ rufen, muss ich mir eingestehen, dass es mit meiner Lebensfreude definitiv nicht mehr so weit her sein kann.
Tageslichtlampe soll die Stimmung aufhellen
Im Netz finden sich Ratschläge, wie man den im Winter oft zu niedrigen Spiegel des Komischer-Kasper-Hormons wieder erhöht. So könnte man gemäß den Quacksalbertipps zum Beispiel mehr Gemüse essen, aber davon werde ich gleich noch viel trauriger. Eine Mahlzeit, für die keine Tiere gestorben sind, macht keinen Spaß. Das wäre ja wie ein Spaziergang, bei dem man nicht Zeuge wenigstens eines Autounfalls mit Verletzten wird.
Eine bessere Lösung ist sicher eine Tageslichtlampe. Soll die Stimmung aufhellen, was mir logisch erscheint. Lampe, Licht, hell. Ich bestelle mir eine bei den Schweinen von Amazon (klingt fast wie der Titel so eines bunten Bahnhofsbuchhandlungs-Fantasyschmökers: „Die Schweine von Amazon“), es ist nun mal ein Notfall. Wenn die noch schneller liefern würden, hätte ich die Lampe auch bei Pegida bestellt.
Mit müdem Gesicht packe ich die Lampe aus und stelle sie auf den Schreibtisch. Ich schalte sie an und warte darauf, dass die Traurigkeit verschwindet. Ich merke nichts.
Ich murmle kurz „Heißa“, um die hoffentlich bald einsetzende Wirkung autosuggestiv zu unterstützen, wie mit einem Wehenmittel die Geburt. Oder eine Abtreibung. Passt hier vielleicht besser. Und bald ist auch noch Karneval. Helau.
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