Weggephazert hinter dem Wasserfall

BEWUSSTSEINSVERENGEND Tame Impala begegnen dem Psychedelic Rock bei ihrem Konzert im Berliner Postbahnhof überaus ernst

Ihr endlos durchgezogenes Midtempo ist nur einen Tick schneller, dass einem die Füße nicht einschlafen

VON JULIAN WEBER

Es fing schon so gedämpft an. Als ob man direkt hinter einem rauschenden Wasserfall steht und alles störende Geräusch an der Wand aus Wasser abprallt. Solcherhand blieb vom Schnack der skandinavischen Touristen vor einem in der Schlange nur unverständliche Fetzen. Selbst Bierflaschen klangen noch beim Zerdeppern höflich. Drinnen im ausverkauften Berliner Postbahnhof das gleiche Klangpanorama: wohltemperiertes Gemurmel, wohin man hörte, geduldige Gesichter in froher Erwartung. An einer britischen Bushaltestelle kann es nicht gesitteter zugehen, wie an diesem seltsamen, wie in Watte gebauschten Mittwochabend.

Waren Weichmacher in den Drogen? Oder warum wirkten selbst die jungen Frauen in Keilabsätzen, Blusen mit Leopardenmuster und schwarzen Lederjacken handzahm? Nun ja, nur so lange, bis Tame Impala pünktlich wie die Maurer auf die Bühne kamen. Dann fauchten die Ladys und reckten ihre Fäuste in die Luft.

Aber das passt eigentlich gar nicht richtig zu der Band aus der australischen Stadt Perth, die sich Psychedelic auf ihre Fahnen geschrieben hat und damit doch irgendwie erstaunlich zum Hype wurden. Obwohl ihre Musik das Gegenteil sagt: Ein Sound, zu dem man am besten auf dem Barhocker wegdämmert oder eine Fernreise nach ganz innen unternimmt – im gelben Unterseeboot.

Unter Fans ist ein Streit entbrannt darüber, ob „Innerspeaker“, ihr 2010 erschienenes Debütalbum, oder „Lonerism“, der neulich veröffentlichte Nachfolger, die reine Lehre sei. Bei ihrem Set am Mittwoch, das mit „Desire Be, Desire Go“, einem Cut aus „Innerspeaker“ begann, verhielten sich die alten und die neuen Songs zueinander, wie Pink Floyd mit Syd Barrett und ohne ihn. Mir persönlich sagen die Songs des ersten Albums mehr zu, auch live, da sie den Bombast in homöopathischen Dosen einsetzen und ihr Dahindaddeln mit Understatement versehen.

Im Tunnelblick

Schon mit den ersten, von Phazer-Effekten zerfaserten Gitarrenriffs wurde klar, dass es hier eine Band ernst meint mit Psychedelic. Null Ironie, hier wird bis in die benutzten Batikfarben detailgenau zitiert. Von heute aus gesehen funktioniert Psychedelic ja eher bewusstseinsverengend, die Zeitleiste stoppt mit dem Jahr 1969. Tame Impala haben einen strikten Tunnelblick und lassen keine Sekunde von ihm ab.

Und sie entwickelten ihn auch live. Das klappte nicht sofort beim ersten Song, sie wackelten, hatten Abstimmungsprobleme, aber spätestens mit Song Nummer drei, „Solitude is bliss“, waren sie drauf und blieben in dieser unwiderstehlichen Mindpower bis zum Schluss. Was ihren Sound besonders macht, ist der angenehme Matsch aus repetitiven Riffs und dem endlos durchgezogenen Boogie-Midtempo. Es ist nur einen Tick schneller, dass einem die Füße nicht einschlafen. Der hagere, fast anämisch wirkende Frontmann Kevin Parker hat kürzlich dem britischen NME erzählt, er gehöre zur Spezies der Sozialversehrten.

Bei den Ansagen wirkte er verhuscht, ja geradezu anämisch. „Das nächste Lied heißt ‚Endors-Toi‘. Es ist neu.“ Oft blickte er nach unten auf sein Effektarsenal, während oben jeder Griff seiner Rickenbacker-Gitarre saß. Gelegentlich erlaubte er sich einen Sprung. Befeuert durch den Wumms, den der Schlagzeuger Julien Barbagallo mit kaskadenhaften Wirbeln erzeugte und den Basslinien von Nick Allbrook, dem heimlichen Star der Band: Wie ein Eukalyptusbaum im Outback stand er hinten im Eck und tänzelte mit seinem Vox-Bass kreuz und quer durch die Gitarrenmelodien hindurch. Dass Kevin Parker barfuß spielte, muss nicht extra betont werden. Man hörte es seiner Gitarre auch so an.