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Valletta und die Suche nach der Zukunft

Malta erlebt einen Touristenboom. Wegen halbseidener Steuergeschäfte und dem Mord an einer Journalistin gilt die Insel aber als eine Art Schurkenstaat der EU. Dass Valetta nun Europäische Kulturhauptstadt 2018 wird, soll den Ruf Maltas wieder verbessern

Von Carsten Sobeck

Durch die Straßen Vallettas, Maltas Hauptstadt, weht eine sanfte Brise. Sechs nicht mehr ganz junge Herren sitzen mit Gitarren auf niedrigen Hockern an einer Ecke der Strait Street. Die Stücke der Maltese Troubadours klingen exotisch, fast arabisch. Das Sextett spielt die traditionelle G-hana, die Volksmusik der Kalksteininsel, bei der die Männer so hoch singen wie eine Frau, ohne ins Falsett zu verfallen. Ähnlich wie bei den Battles im Rap treten zwei Sänger gegeneinander an und befehden sich akustisch mit improvisierten Texten.

Ursprünglich war es die Musik der Frauen bei der beschwerlichen Feldarbeit, aber irgendwann übernahmen die Männer und machten daraus artistische Stimmbandduelle. So hallen an diesem Abend hohe, zerbrechliche Stimmen durch die kaum drei Meter breite Gasse, die schnurgerade dem Auf und Ab des Bergrückens folgt, auf dem Valletta liegt. Die lange vergessene G-hana handelt von unglücklicher Liebe, von Verlust und von der Sehnsucht.

Auch für Valletta geht es um Verlust und Sehnsucht. Zwischen dem verblassenden britischen Erbe, der Mitgliedschaft Maltas in der EU und einem angespannten innenpolitischen Klima nach dem Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia sucht die Stadt nach einer Zukunft für sich selbst. Das kommende Jahr spielt dabei eine Schlüsselrolle.

2018 ist Valletta zusammen mit der niederländischen Region Leeuwarden-Friesland Europäische Kulturhauptstadt. Auf Malta erhoffen sie sich davon einen dringend benötigten Image­schub für die Insel – und einen Impuls für die Hauptstadt, deren Geschichte in den letzten Jahrzehnten die eines Abstiegs war.

„Vor sechs oder sieben Jahren war Valletta buchstäblich tot. Auf den Straßen war abends niemand zu sehen“, bestätigt Marc Zimmermann, ein deutscher Bauingenieur. Er lebt seit acht Jahren auf dem Archipel, berät Regierungsinstitutionen zu ­historischer Bausubstanz, von der es auf der Insel mit mehr als dreitausend Jahren Siedlungsgeschichte viele Überreste gibt.

Valletta gehört als barocke Festungsstadt zum Unesco-Weltkulturerbe. Am Tage ist sie eine Touristenattraktion, nach Einbruch der Dunkelheit eine leere Hülle. Nur die Tauben lärmen in den verfallenen Palazzi.

Reisetipps Valetta

Aufstehen Das Hotel Castille in Valletta ist ein gutes Durchschnittshotel. Sein großer Trumpf ist das Restaurant im sechsten Stock: Von der Terrasse aus hat man einen grandiosen Ausblick auf den Grand Harbour und ganz Malta. ww.hotelcastillemalta.com/

Geschichte Gut versteckt in einer Bastion am Marsamxett-Hafen in der Mark Street liegt das Fortress Interpretation Center – ein Museum, das die Festungsgeschichte Maltas erzählt. https://thefortressbuilders.weebly.com/

Ausgehen Seit drei Generationen gibt es die kleine Bar San Paolo Naufrago in einem Gewölbe in der St. Lucia‘s Street. Im Sommer sitzt man draußen auf einer der vielen Treppen Vallettas und genießt Wein aus Gozo, oft mit Live­musik. Wer Hunger hat, bestellt eine der leckeren kalten Platten mit lokalen Produkten: San Paolo Naufrago, St. Lucia Street.

Sound D’Amato ist einer der ältesten Plattenläden der Welt. Seit 1885 wird hier mit Musik gehandelt. Große Auswahl an neuer oder gebrauchter Ware, Anlaufpunkt für maltesische Musik: D’Amato Records, Triq San Gwann.

Touristeninfo www.visitmalta.com/de/

Wenn die Kreuzfahrtschiffe ablegten, senkte sich gespenstische Ruhe über die einstige Metropole der Malteserritter. „In der Stadt passierte nichts mehr, reihenweise schlossen die Geschäfte. Es gab zwei oder drei Restaurants, aber kein Nachtleben“, sagt Marc Zimmermann. Auch die besten Zeiten der Strait Street waren lange vorbei. Die Straße hatte im streng katholischen Malta einen zweifelhaften Ruf, war gerade deswegen bei Seeleuten und Soldaten sehr beliebt.

Dort, wo jetzt die Maltese Troubardours singen, war einst der Sündenpfuhl Vallettas. ­Billiger Alkohol, laute Music Halls, Schlägereien – in der Gosse, „The Gut“, wie die Straße bei Ein­heimischen und Ver­gnügungssüchtigen hieß, gab es das gesamte Gomorra-Programm einer florierenden Hafenstadt.

Ab 1979 ging es bergab. Damals zogen die Briten ihre Soldaten ab, und dann machte auch die US-Flotte immer seltener Station auf dem kleinen Eiland. Die locker sitzenden Dollars und Pfundnoten der Matrosen blieben nach dem Ende des Kalten Krieges aus. The Gut zerfiel. Dance Halls und Spelunken schlossen, die Polizisten hatten mit einem Mal einen ruhigen Job. Nur die verwitterten, handgemalten Schilder der Bars erinnerten noch an bessere Zeiten: Egyptian Queen, The Blue Peter, Laddy’s Bar. Die neue Nutzlosigkeit der Strait Street war wie ein Abbild der Entwicklung ganz Vallettas – wie umgehen mit einer Stadt, die tonnenweise Vergangenheit hat, aber keine Gegenwart?

Karsten Xuereb hat als Executive Director beim Organisationskomitee „Valletta 2018“ die Weichen gestellt für das Konzept, das Valletta ab dem kommenden Jahr verändern will – mit Kultur. Nun arbeitet er für die nächsthöhere Behörde, die Superintendanz für das kulturelle Erbe.

Er beschreibt das Problem: „Die Alten sterben weg, und junge Familien verlassen Valletta. Neu Hinzugezogene können diese Entwicklung nicht ausgleichen.“ Fast ein Drittel der gut 6.000 Einwohner ist über 60, rund 35 Prozent der Wohngebäude stehen leer. Das beschleunigt den Verfall der Bausubstanz und damit den weiteren Exodus. Zum Vergleich: Vor dem Zweiten Weltkrieg zählte Valletta rund 24.000 Einwohner.

Xuereb suchte in den Räumen von „Valletta 2018“ in der Chamber of Commerce mit seinen Mitarbeitern nach einem geeigneten Mittel, der sterbenden Hauptstadt neues Leben einzuhauchen. Dabei standen ihnen ein paar tausend Jahre maltesischer Geschichte im Weg. Phönizier, Römer, Normannen, Kreuzritter, Franzosen und Briten, alle sind sie über das kleine Eiland im Zentrum des Mittelmeers getrampelt und haben politisch, gesellschaftlich, architektonisch und kulturell ihre Spuren hinterlassen.

Ein reiches Erbe, aber auch eine Belastung, wenn man alte Festungsmauern ohne Wasseranschluss und Barockpaläste ohne Heizung attraktiv machen will für Digital Natives. „Ich glaube, wir sollten die Vergangenheit nicht zum Fetisch machen“, winkt Xuereb ab. „Das Vergangene ist wundervoll, aber interessant wird es erst, wenn wir die Geschichte als Ausgangspunkt nehmen, um uns selbst neu zu erfinden.“

Sich neu erfinden heißt im kommenden Jahr: Die Kultur soll es richten. Kunstausstellungen, Workshops und Konzerte gegen Abwanderung, Häuserleerstand und wirtschaftlicher Niedergang – das ganze Jahr über wollen Veranstaltungen unter dem Label „Valletta 2018“ dem Stadtleben neue Impulse zu geben. So soll das Bild Maltas, der diskreten Adresse für reiche Russen, Onlineglücksspielhallen und Firmen mit Steuerallergie, verändert werden. Ab Januar wechseln sich die Events in atemloser Frequenz ab. Die Strategie: „Wir wollen nicht nur ein Festival veranstalten. Deshalb liegt die Betonung auf einem langfristigen Programm. Wir kooperieren mit den einzelnen Vierteln und versuchen die Bewohner zu integrieren. “

Nur so ergeben sich für Karsten Xuereb bleibende Effekte auch nach 2018. Alte Gebäude werden nun renoviert und Schauplätze wie die Strait Street reaktiviert. Konzerte, Ausstellungen zeitgenössischer Kunst und Workshops finden auf der ganzen Insel statt.

Es wird viel gebaut auf Malta, und mancher Bauunternehmer wird dank guter Beziehungen zur Regierung reich. Die Insel ist klein, nur rund 400.000 Einwohner drängen sich in den dicht bebauten Zentren an der Ostküste. Alles liegt hier eng beieinander, und das gilt auch für die Politik. Seit Jahrzehnten hat Malta ein solides Zweiparteiensystem. Labour und Nationalisten wechseln sich in der Regierung ab, und zwischendurch liefern sich die beiden Lager lautstarke Battles wie bei einem imaginären G-hana-Konzert.

Eines der Vorzeigeprojekte von „Valletta 2018“ ist das ehemalige Schlachthaus der Stadt, Il-Biccerija. Das Gebäude mit der blutigen Vergangenheit liegt in einem Viertel der Hauptstadt, das nicht zu den Toplagen gehört. Für die Mannschaft von Karsten Xuereb ein Grund mehr, genau hier anzusetzen: „Dieser Ort soll wieder schön werden. Wir wollten die streunenden Hunde vertreiben, das Ungeziefer loswerden und einen Mehrwert für die Bewohner des Viertels schaffen.“ Das Schlachthaus wird seit 2015 umgebaut und will ab 2019 als Valletta Design Cluster zum Hotspot für Start-ups aus den Bereichen Kunst, Handwerk, Technologie und Design werden, mit Büroräumen und einer technischen Infrastruktur, die up to date ist.

So erhofft man sich eine Belebung, die nicht das Alte hinter Glas ausstellt, sondern Valletta 2.0 in die engen Gassen mit den steilen Treppen bringt.

Nur ein paar Straßen weiter gibt es in der Merchant Street mit Il-Suq, der alten Markthalle, ein ähnliches Projekt. Fleisch- und Gemüsehändler, Blumenläden und Gebäckstände bekommen jetzt Gesellschaft von schicken Restaurants und Bars. Livemusik und Kunst zur Bereicherung und Verfeinerung der Shoppingliste? Das riecht nach Gentrifizierung.

Karsten Xuereb windet sich: „Wir müssen mit einigen Problemen umgehen, bevor die Stadt wieder attraktiv wird. Dazu gehören auch die Mietpreise, bei denen es sicher ein Element der Gentrifizierung gibt.“ Wenn Valletta wieder hip ist, muss man es sich leisten können. Der Prozess der Erneuerung Vallettas hat begonnen. 2018 ist wichtig, doch wichtiger ist das, was danach kommt.“

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