piwik no script img

Zärtliche Überforderung

Das Experimentelle-Musik-Festival „Klub Katarakt“ stellt dieses Jahr – unter anderem – den Hamburger Bioinformatiker und Multimedia-Komponisten Alexander Schubert vor

Von Robert Matthies

Vielleicht muss man sich diese besonderen „supramodalen“ Bereiche im Gehirn, von deren Existenz einige Neurowissenschaftler seit ein paar Jahren überzeugt sind, ungefähr so vorstellen wie den Arbeitsplatz des Hamburger Multimedia-Komponisten Alexander Schubert: Notensatzprogramme, Video- und Fotosoftware oder visuelle Multimedia-Programmiersprachen wie Max/MSP hat der 39-Jährige immer parallel geöffnet, springt von einem zum anderen, denkt dabei alle Medien und Sinne gleichberechtigt nebeneinander, komponiert also interdisziplinär, aber von vornherein auf Synthese ausgelegt.

Die supramodalen Verschaltungen im Gehirn konzipieren Wissenschaftler dahingehend, dass sensuelle Informationen nicht modal getrennt voneinander analysiert und verarbeitet werden, sondern, so das noch umstrittene Neuro-Konzept, unabhängig von ihrer Modalität: verschiedene Wahrnehmungsarten werden überschritten, Sehen und Hören prozessiert das Hirn dann mit derselben Funktion. Inspiriert wurde dieser Ansatz von Studien zur menschlichen Echoortung und zur multisensorischen Sprachwahrnehmung.

Das klingt vielleicht abstrakt und verkopft, lässt sich aber ganz konkret und körperlich (übrigens ganz ohne Drogen) erleben: in eben jenem Stück, in dem sich Alexander Schubert mit diesem Phänomen des gleichzeitigen, nicht mehr klar differenzierten multisensorischen Wahrnehmens kompositorisch auseinandersetzt. Schubert weiß als studierter Bioinformatiker und Kognitionswissenschaftler übrigens genau, was er da tut.

Vor zwei Jahren führte Schubert sein komplexes Multimedia-Werk „Supramodal Parser“ bei der „Rave Night Vienna“ gemeinsam mit dem israelischen Ensemble Nikel und der Hamburger Sängerin Mona Steinwidder (Mohna) erstmals auf. Nun ist das Stück beim „Klub Katarakt“ auf Kampnagel zum ersten Mal in Deutschland zu erleben – bei jenem kleinen Festival also, das sich ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben hat, Neue und experimentelle Musik in einem nicht-akademischen Rahmen zu präsentieren.

Uns so klingt auch „Supramodal Parser“ zwar nach kluger Auseinandersetzung, ist aber alles andere als ein mit geschlossenen Augen versonnen zu rezipierendes Hörstück. Stattdessen wähnt man sich nach ein paar Minuten eher in einem Techno-Klub, irgendwann zu fortgeschrittener Stunde, wenn die Reizüberflutung ekstatische Zustände beschwört – aber auch der Frust nach dem Rausch schon aufflackert.

Eine Stunde lang changiert das Stück mit seinen immersiven Klangfeldern aus Live-Musik und Samples, farbigem Licht, Videoprojektionen, flackernden Strobos und jeder Menge Maschinennebel permanent zwischen audiovisueller Überforderung und irritierenden Stillstandserfahrungen. Man merkt dem Abend dabei deutlich an, dass Schuberts Werdegang zum Komponisten kein klassisch akademischer war.

Groß geworden mit avancierter Popmusik à la Radiohead, hat er als Jugendlicher am heimischen PC in Bremen begonnen, Soundcollagen mit sogenannter Tracker-Software zu basteln; später als Gitarrist und Keyboarder in Hardcore-, Free-Jazz- und anderen Improbands die körperlich-expressive Seite und Unmittelbarkeit von Musik schätzen gelernt – und seine Erfahrungen schließlich nach einem Multimedia-Kompositionsstudium in Hamburg in einen Kunstmusikkontext übertragen.

Schuberts Stücke sind deshalb immer Performances und Installationen, die die Konfrontation suchen: mit Entfremdung und Irritation ebenso spielen wie mit Humor, Ironie oder brachialer Sinnesüberforderung. Die Heftigkeit der Eindrücke aber, mit denen er Musiker und Publikum bedrängt, sind keine Neue-Musik-Kraftmeierei und wollen auch partout kein Spektakel und keine Show sein – sondern Übersprünge ermöglichen. Als Romantiker sieht sich Schubert da, dem es mit der Heftigkeit seiner Mittel im Grunde um ganz Zartes geht.

Also lassen Sie sich ganz beruhigt überwältigen und berauschen von diesem klugen Stück: Das wirkt bewusstseinserweiternd, ohne dass es am nächsten Morgen ein böses Erwachen gibt.

„Klub Katarakt“: Mi, 17. 1., bis Sa, 20. 1., Kampnagel; Lecture von Alexander Schubert und „Supramodel Parser“: Do, 18. 1., 18/21.30 Uhr. www.klubkatarakt.net

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen