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Beim Schmuddelkind

Im „Lodderbast“ in Hannover lebt die Tradition der Kneipen-Kinos neu auf. Es gibt zwar nur 20 Sitzplätze für Filmfans, aber unendlich viel Liebe fürs Detail

Von Wilfried Hippen

Wiebke und Johannes Thomsen machen jetzt Kino. Die beiden Mitdreißiger hatten genug von ihren bisherigen Jobs: er als Journalist und Werbetexter, sie, gar nicht soweit weg vom Jetzigen, als stellvertretende Kinoleiterin. Die Idee: Für ein winziges Kino. In ihrer Heimatstadt Hannover gibt es noch eine Lücke im durchaus umkämpften Kulturangebot.

Ein Kino, nur von den beiden betrieben und mit einer gemütlichen Wohnzimmeratmosphäre, in dem jeder Besucher mit Handschlag begrüßt wird. In dem schräge, junge, coole Filme zwischen Trash und Arthouse gezeigt werden, die in den größeren Kinos keine Chance bekommen. In dem es Getränke und belegte Brote, ein „Abendbrot“, gibt und in dem sich im Idealfall eine kleine Gemeinde von Filmbegeisterten regelmäßig trifft.

Die beiden haben in diesen Traum investiert: „Eine Eigentumswohnung oder ein Eigentumsjob“, erklärt Johannes die Entscheidung, vor der sie standen. Aber sie sind keine Traumtänzer und haben ihren Geschäftsplan genau durchgerechnet: Wenn durchschnittlich zehn Besucher pro Vorstellung kommen würden, wären sie in den schwarzen Zahlen.

In der Berliner Allee 56 in der der Südstadt haben sie einen ehemaligen Plattenladen gemietet und sind auch gleich darüber eingezogen. Die neue Wohnung ist mit 38 Quadratmeter eher klein, aber da das Kino ja ihr Wohnzimmer ist, geht das schon. Der kleine Raum kann mit alten Holzrolläden abgedunkelt werden. Auf 20 Cocktailsesseln im Stil der 50er-Jahre können die Gäste Platz nehmen. Es gibt einen Tresen, eine Unisex-Toilette und eine sechs Quadratmeter große Leinwand.

„Lodderbast“ nennen sie ihren Kulturkiosk nach einem Ausdruck im „Calenberger Platt“, einem Hannoveraner Dialekt. Den hat Johannes von seiner Oma gelernt und Lodderbast bedeutet etwas Ähnliches wie „Schmuddelkind“. Sie haben erst seit ein paar Tagen geöffnet und schon einen Stammgast: Einen älteren Mann, der meinte, auf so etwas wie ihren Laden habe er schon lange gewartet.

„Lodderbast“ ist ein Ausdruck aus dem Calenberger Platt, einem Hannoveraner Dialekt und bedeutet so viel wie „Schmuddelkind“

Und tatsächlich spürt man die Liebe, mit der die beiden ihr Kleinstkino eingerichtet haben und es betreiben: Sie haben nicht nur einen Monatsflyer drucken lassen, sondern auch für jeden einzelnen der zehn im Januar laufenden Filme ein kleines Programmheft gestaltet, auf dem die Daten, Zitate von den Filmemachern und Kritikern sowie das Angebot an Speisen und Getränken (die „Loddereien zum Film“) zu lesen sind.

Als Kaltgetränke werden wahlweise ein roter und ein weißer Wein, diverse Biere und hausgemachte Zitronenlimonade gereicht. Dazu „handgekochtes“ Popcorn und Stullen mit Fisch, Fleisch oder Käse. Statt Werbung oder einer Trailershow gibt Wiebke Thomsen eine etwa zehn Minuten lange Einführung in den Film und die Projektion von der Blu-Ray kommt in dann in durchaus professioneller Bild- und Tonqualität daher

Denn das Lodderbast steht zwar eindeutig in der Tradition der Kneipenkinos, die es in den 80er- und 90er-Jahren in vielen Großstädten gab und in denen zuerst sogar noch Filme von VHS-Rekordern abgespielt wurden. Aber während man es damals mit Bild- und Tonrechten nicht so genau nahm, ist im Lodderbast alles legal.

Bei jedem gezeigten Film vereinbart Wiebke die Konditionen mit den Verleihern, was bedeutet, dass üblicherweise 40 Prozent der Einnahmen abgeführt werden müssen. Ein Problem sind dabei die Mindestgarantien, auf denen manche Rechte­inhaber bestehen. Aber da hilft meist das Verhandlungsgeschick der ausgebildeten Filmtheatermanagerin.

Das Lodderbast hat an sechs Tagen in der Woche geöffnet und spielt unter der Woche jeweils um 19 Uhr einen Film sowie drei an den Samstagen. Reservieren kann man täglich ab 10 Uhr telefonisch. Lange Arbeitstage, aber noch „fühlt es sich nicht wie Arbeit, sondern wie ein Privileg an“, sagt Johannes, und Wiebke macht sich immerhin Hoffnungen auf drei Wochen Sommerurlaub „während der Fußballweltmeisterschaft“.

Beide haben dazu noch Halbtagsjobs: er als Werbetexter, sie betreibt mit einer Kollegin ein Kiezkino im Berliner Wedding. Das Konzept scheint gut durchdacht und spätestens, wenn Johannes das Kino „unser Kind“ nennt, wird klar, dass nur ein Paar, das sich ergänzt und gut aufeinander eingespielt ist, solch eine Aufgabe meistern kann.

Im Januar heißt der thematische Schwerpunkt im Lodderbast „Mensch und Tier“ sowie „Mexikaner in Hollywood“. Deshalb läuft „Birdman“ von A. G. Inárritu, den die Thomsens bei einem ihrer ersten Dates zusammen gesehen haben. An „Tierfilmen“ laufen noch „Wild“ von Nicolette Krebitz, „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ von Julian Radlmaier, und der Trash­film „Sharknado“.

Am 30. Januar wird der deutsche Filmemacher RP Kahl seinen Film „A Thought of Ecstasy“ persönlich vorstellen. Und mindestens einmal muss demnächst auch ein Film von Monty Python gezeigt werden, denn dies war eine Bedingung der Vermieterin, und das wurde mit Handschlag besiegelt.

Das Programm vom Lodderbast gibt es hier: www.lodderbast.de

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