: „Unterstellung ohne Belege“
Steit um Iman bei Amri-Gedenken: Pfarrer der Gedächtniskirche reagiert auf Vorwürfe
Martin Germer
Jahrgang 1956, ist seit 2005 Pfarrer an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Er leitete die Gedenkfeier am 19. Dezember.
Interview Claudius Prößer
taz: Herr Germer, Ihr Pastorenkollege Steffen Reiches kritisiert die Teilnahme des Imams Mohamed Matar von der Moschee „Neuköllner Begegnungsstätte“ (NBS) an der Gedenkfeier Ihrer Kirche für die Opfer des Amri-Anschlags . Was stört Sie daran?
Martin Germer: Steffen Reiche erhebt offenbar ohne nähere Kenntnis der Moschee und ihres Mitarbeiters einen gravierenden Vorwurf: dass sich da jemand nach außen hin friedensengagiert äußert und in der eigenen Gemeinde das Gegenteil tut. So eine Unterstellung kann man ohne konkrete Anhaltspunkte nicht erheben – schon gar nicht als christlicher Theologe.
Herr Reiche beruft sich auf Anschuldigungen, die in der Presse veröffentlicht wurden. Und Tatsache ist, dass der Verfassungsschutz die NBS auf dem Schirm hat.
Was Letzteres angeht: Das besagt noch nichts. Ich erwarte vom Verfassungsschutz, dass er darauf achtet, was in der Moscheenlandschaft gesagt und getan wird. Ja, im Verfassungsschutzbericht stehen einige Dinge in Bezug auf die NBS – etwa, dass dort vor Jahren ein Prediger aufgetreten ist, von dem man dann aus anderen Zusammenhängen erfuhr, dass er schlimme Dinge gesagt hat. Davon hat die NBS sich schon vor geraumer Zeit distanziert. Über diese klarstellenden Aussagen wird aber nicht berichtet, es werden immer nur Pauschalverdächtigungen aufrechterhalten.
Die B.Z., die Sie als Teil eines „Zitationskartells“ betrachten, das die NBS in ein schlechtes Licht rückt, verweist auf einen Facebook-Post Matars. Da hat er sich mit einer Geste fotografiert lassen, die als Symbol der islamistischen Muslimbruderschaft gilt.
Das ist nicht unproblematisch, aber Leute, die über den Islam und die aktuelle Situation im Nahen Osten wesentlich mehr wissen als ich, haben mir gesagt, dass die vier erhobenen Finger nicht automatisch bedeuten, dass sich jemand mit der Muslimbruderschaft identifiziert. Es kann einfach ein Zeichen gegen Repression sein. Das Foto entstand ja, als in Ägypten die Militärdiktatur die islamische Regierung aus der Macht gedrängt hat und viele Menschen umgebracht worden sind.
Trotzdem: Wäre es gegenüber den Opfern vom Breitscheidplatz nicht sensibler gewesen, einen Imam einzuladen, bei dem gar keine Zweifel im Raum stehen?
Wir hatten den Eindruck, dass Herr Matar eine engagierte, integre Person ist. Von den anderen Dingen und Fragen wussten wir zu diesem Zeitpunkt nichts. Engagierte Muslime aus arabischen Kontexten leben in einer komplizierten Welt. Dass da jemand mal etwas sagt oder tut, was er hinterher als Fehler bezeichnet, wird kaum zu vermeiden sein. Vielleicht hätten wir im Hinblick auf die besondere Sensibilität der Situation versucht, jemand ohne jegliche Fragezeichen zu gewinnen. Aber in einem anderem Zusammenhang kann ich mir durchaus vorstellen, Herrn Matar wieder einzuladen.
Eine Langfassung des Interviews finden Sie auf taz.de/berlin.
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