: Endlich ein normales Silvester
Köln feierte den Jahreswechsel mit einem großen Sicherheitsaufgebot und orientalischen Kreistänzen
Aus Köln Christian Werthschulte
Multikulti auf Kölsch funktioniert nach einem einfachen Schema: Man singt zusammen – am liebsten im lokalen Dialekt. So auch am Silvesterabend 2017. Auf der Bühne am Roncalliplatz hinter dem Kölner Dom spielt die Schülerband „Buntes Herz“, mit Musikern aus Deutschland, Syrien und Afghanistan ihren letzten Song: „Der Halay kütt aus dem Morgenland“.
„Der Halay“ ist ein im Nahen Osten beliebter Kreistanz, der an diesem Abend auch in Köln funktioniert. Unter den 800 Zuschauern – viele aus dem Kölner Umland, der Großteil mit Migrationshintergrund – bilden sich Tanzkreise, während bunte Herzen auf die umliegenden Fassaden projiziert wurden. „Ich würde mir wünschen, dass wir allmählich zur Normalität zurückkehren“, hatte Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker zwei Wochen vor Silvester auf einer Pressekonferenz erklärt und ein Sicherheitskonzept vorgestellt, das alles andere als Normalität versprach: 1.400 Polizisten an Dom und Hauptbahnhof, dazu eine abgesperrte Zone um den Kölner Dom, in der Feuerwerkskörper und Alkohol verboten sein sollen.
Es war der zweite Versuch, die massenhafte sexualisierte Gewalt der Silvesternacht 2015 vergessen zu machen – mit „positiven Bildern“. 2016 scheiterte er. Am späten Abend Silvester 2016 hatte die Polizei rund 600 Menschen mit dunklen Haaren und dunklem Teint mehrere Stunden am Hauptbahnhof eingekesselt, um ihre Personalien zu überprüfen.
Nachdem mehrere Medien – darunter die taz – den Vorwurf des racial profiling erhoben hatten, veranlasste die Kölner Polizei eine interne Untersuchung. Ihr Ergebnis: Die eingekesselten Personen hatten sich nicht zu Straftaten in Köln verabredet, sondern waren in Kleingruppen zum Feiern in die Stadt gekommen.
„Wir haben aus unseren Fehlern gelernt“, erklärte der neue Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob im Vorfeld der diesjährigen Feier. Anstelle eines Polizeikessels forderte die Polizei dieses Jahr alle Menschen schnell auf, den Platz vor dem Hauptbahnhof zu verlassen – selbst wenn sie nur ein Foto des erleuchteten Doms machen wollten. Beobachtet wurde die Polizei vom Antifa-Bündnis „Köln gegen Rechts“, die Fälle von racial profiling dokumentieren wollten. Auf Facebook posteten sie ein Foto eines Security-Mitarbeiters, der im Auftrag der Stadt einen der Zugänge zur Sicherheitszone kontrollierte. In der Vergangenheit hat er an einer Demonstration der rechtsextremen Partei Pro NRW teilgenommen. Etwa zwei Stunden nach Veröffentlichung des Bildes wurde er von seinem Posten abgezogen.
Auf der anderen Seite des Doms, im Kölner Rathaus, trafen um halb zehn Uhr abends Uwe Jacob, Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker und NRW-Innenminister Heribert Reul im Koordinierungszentrum der Stadt zusammen. Es ist der Beginn eines PR-Schaulaufens. „Die Sicherheitsmaßnahmen sind nicht schön, aber nötig“, erklärt Reker und Reul pflichtet ihr bei: „Überall auf der Welt steigen die Gefahren.“ Dann geht es weiter. Nächste Station: eine provisorische Polizeiwache am Roncalliplatz. Reul bedankt sich bei den Beamten, trifft auf den Dompropst und gemeinsam marschieren sie durch die Menge zum Weltkulturerbe. „Alter, wer ist das?“, kommentieren zwei Jugendliche die PR-Tour des Innenministers. Am Ende des Abends sind alle zufrieden. Die Stadt Köln spricht von 10.000 Besuchern auf der Domplatte. Die Polizei erklärt, die Vorkommnisse bewegten sich im Rahmen dessen, was bei einer Großveranstaltung üblich sei.
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