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Archiv-Artikel

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Was wird aus der Berliner Kulturlandschaft, wenn eine schwarz-gelbe Regierung an die Macht kommt? Reaktionen auf die Ankündigung von Norbert Lammert (CDU), den Hauptstadtkulturfonds „überdenken“ zu wollen

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Eine Woche vor der Wahl richten sich die Blicke in der Berliner Kulturszene weniger auf Gerhard Schröder oder Angelika Merkel als vielmehr auf Norbert Lammert. Lammert ist im Kompetenzteam von Angela Merkel für Kulturpolitik zuständig und galt lange als ein Hoffnungsträger, der das schöne Bild vom konservativen Intellektuellen erfüllte, dessen Kulturinteressen sich nicht parteikonform verbiegen lassen.

Diesen Ruf hat er sich mit seinem Einsatz für einzelne Künstler und Kunstprojekte erworben, etwa für Frank Castorfs Engagement bei den Ruhrfestspielen oder für Hans Haacke umstrittenes Kunstprojekt „Dem deutschen Volke“ im Reichstagsgebäude. Auch im Beirat der Bundeskulturstiftung gilt er als offener und kompetenter Politiker. So durfte man eine Zeit lang hoffen, in ihm einen Vertreter der Kultur zu finden, der sich um ordnungspolitische Verbesserungen der Rahmenbedingungen kümmert und dabei frei von konservativer Ideologie agiert.

Nun aber hat Norbert Lammert damit begonnen, Kritik am Schwerpunkt Berlin in der Kulturförderung zu formulieren. Als erstes Angriffsziel hat er sich den Hauptstadtkulturfonds ausgesucht, und das alarmiert die Kulturszene der Stadt. Schließlich kam der Angriff überraschend früh, ist doch der Hauptstadtkulturfonds, der 11,65 Millionen Euro im Jahr umfasst, Teil des Hauptstadtkulturvertrags, der bis Ende 2007 gilt. Auch wenn nicht zu bestreiten ist, dass einige der mit den Mitteln aus dem Fonds geförderten Projekte nicht gehalten haben, was sie versprachen, sieht Lammerts Ankündigung, den Fonds „überdenken“ zu wollen, sehr nach einer Strafandrohung für Unbotmäßigkeit aus.

Das ist es, was zum Beispiel Matthias Lilienthal, seit 2003 Intendant des „Hebbel am Ufer“ (HAU), befürchtet. Er versucht zurzeit, den Rat für die Künste wieder aufzustellen, um der Berliner Kultur eine Sprecherstruktur gegenüber einer Politik zu geben, die sich in seinen Augen zu sehr hinter dem Spardruck verschanzt. „Man muss jetzt Politikern wie Norbert Lammert, Angela Merkel und Guido Westerwelle vor Augen stellen, was hier in Berlin an Potenzial entstanden ist.“

Lilienthals Theaterhäuser des HAU, nur mit einem kleinen Eigenetat ausgestattet, sind abhängig von den Projektförderungen des Hauptstadtkulturfonds und der Bundeskulturstiftung. Das gilt ebenso für die Programme der Sophiensæle, das Festival Tanz im August, Produktionen von Sasha Waltz, die letzten Shows im Palast der Republik, Ausstellungen im Neuen Berliner Kunstverein, im Kunstraum Kreuzberg sowie den Kunstwerken oder für zeitgenössische Musiktheaterprojekte in der Staatsoper. Diese Orte zusammen haben in den vergangenen Jahren ein Bild von der Kultur in Berlin produziert, das den großen Häusern ebenbürtig ist.

Ohne die Mittel der Stiftungen wäre das nicht möglich gewesen. Weil in beiden die Entscheidungen der Fachjurys vor einem politisch besetzen Gremium begründet werden müssen, sind ihre Kriterien von der Politik steuerbar. Matthias Lilienthal glaubt, dass diese Struktur schon jetzt „manchmal eine Art vorauseilenden Gehorsam“ hervorbringt, der sich in Projektanträgen und den Erwägungen der Jurys niederschlägt.

Adrienne Goehler, Leiterin des Hauptstadtkulturfonds, hat es in dessen Geschichte erlebt: „Es kracht, wo die Kunst anstößige Fragen stellt, die ins Politische hineinreichen.“ Schon länger hat sie Erfahrung, dass konservative Kulturpolitiker, wie Christoph Stölzl in seiner Zeit als Berliner Kultursenator, sehr schnell mal nach den Fördertöpfen für freie Projekte greifen und dort den Rotstift zuerst ansetzen. Deshalb wurde der Hauptstadtkulturfonds gerade als präventive Maßnahme eingerichtet, um nicht alle Investitionen in neue Strukturen dem Spardruck zu opfern.

Dass eine neue Kulturpolitik des Bundes jetzt versuchen könnte, das Rad wieder zurückzudrehen, kann sich Gabriele Horn, Geschäftsführerin der Kunstwerke, allerdings nicht vorstellen, auch wenn sie weiß: „In Zeiten, in denen das Geld knapp ist, gibt es immer auch Verteilungskämpfe.“ Da Berlin – und damit auch Deutschland – einen Großteil seiner internationalen Ausstrahlung aus dem besonderen kulturellen Angebotsspektrum und der außerordentlichen kulturellen Qualität der Hauptstadt zieht, ist es laut Horn „schwer vorstellbar, dass dieses Renommee mit der Axt selbst amputiert wird“.

Stephane Bauer, Leiter des Kunstraums Kreuzberg, dagegen sieht, dass sich der „Horizont verändert, was die politische Akteure als Kultur begreifen“. Er hat gerade die Erfahrung gemacht, dass „an minoritären Zielgruppen orientierte Angebote reaktionären und konservativen Politkern und Medien ein Dorn im Auge zu sein scheinen“.

Im Kunstraum Kreuzberg zeigt Bauer derzeit die Ausstellung „Backjumps: urbane Kommunikation und Ästhetik“, die sich mit Aktionen im öffentlichen Raum beschäftigt. Ohne zu begreifen, dass damit versucht wird, ein junges und anderes Publikum zu erreichen, stellte die FDP eine Anfrage im Berliner Abgeordnetenhaus, und die Bundestagsfraktion der CDU forderte die Rückgabe der Mittel in Höhe von 35.000 Euro.

Amelie Deuflhard, Leiterin der Sophiensæle, versucht dennoch beruhigt in die Zukunft zu sehen. Sie hofft darauf, dass die Projektförderungen als gut angelegtes Geld gesehen werden, gemessen an der gewachsenen Attraktivität der Stadt. Eigentlich müsste ihr Theater liberalen Wirtschaftspolitikern als Erfolgsmodell gelten, weil dort für wenig Geld und ohne große Absicherung gearbeitet wird. Dafür spricht, dass sie mit den Sophiensælen oft Einladungen auf Podien der FDP erhalten hat, die für mehr Eigeninitiative und Flexibilität warben.

Die Kultur dem freien Spiel der Wirtschaft zu überantworten: Es ist diese Haltung der FDP und der CDU, die viele Kulturmanager auch in den großen Institutionen fürchten – viel mehr als irgendeine Form inhaltlicher Einmischung. Matthias Flügge zum Beispiel, Vizepräsident der Akademie der Künste, sieht in dem ökonomischen Druck, Kultur zu vermarkten, am ehesten „zerstörerische Kräfte am Werk, die an den Festen der Kultur nagen, die die bürgerliche Gesellschaft in 200 Jahren aufgebaut hat“.

Ähnliche Erfahrungen mit dem Druck von Einschaltquote und Auslastung hat Michael Schindhelm, Generaldirektor der Berliner Opernstiftung, auch schon in einem ganz anderen Milieu gemacht – als Intendant des Theaters in Basel. Selbst der Wunsch nach dem Guten, Wahren und Schönen, der nach mehr Klassikern und weniger zeitgenössischen Stoffen verlangt, sei nicht zuletzt deshalb zu spüren, weil man glaubt, damit mehr Kasse zu machen. Wenn er im Spielplan der drei Berliner Opernhäuser jetzt zum Beginn der Spielzeit trotzdem auf einen ungewöhnlich hohen Anteil an Uraufführungen und Werken der jüngeren Musikgeschichte setzt, ist das auch ein Austesten, wie viel Spielraum die Berliner Ökonomie ihm geben wird.

Andere sind da vorsichtiger. Nicht überall will man zurzeit zu der Frage, was eine Wende in der Politik für die Kultur in Berlin bedeuten könnte, Stellung nehmen, schon um die eigene Institution zu schützen. Peter-Klaus Schuster zum Beispiel, Generaldirektor der Staatlichen Museen in Berlin, eröffnete für Gerhard Schröder eine Ausstellung im Kanzleramt und führte Angela Merkel durch die Goya-Ausstellung. Man wappnet sich für alle Fälle.