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Archiv-Artikel

Vom Cafétisch zum Antisemitismusstreit

In München eskaliert die Debatte um die Erlaubnis für einen Freiluftausschank. In der Kritik: ein SPD-Stadtrat

MÜNCHEN taz ■ Es ist eine Geschichte aus der kleinsten politischen Ebene in München, aber es ist auch eine Geschichte, die zeigt, wie schnell eine Debatte eskalieren kann, wenn plötzlich der Vorwurf des Antisemitismus ins Spiel kommt. Der Münchner SPD-Stadtrat Thomas Lange soll Münchner Gastwirten, der jüdischen Familie Zeldman, im Juli vorgehalten haben: „Wir sind hier nicht in Israel, wo man mit Panzern und Schusswaffen Probleme löst. Die Juden kriegen den Hals nicht voll, die wollen nichts bezahlen.“

Den ersten Satz hat Lange zugegeben, den zweiten bestreitet er. In einer Rathaus-Mitteilung, an der Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) höchstselbst am Mittwoch mitformuliert hat, erklärt der „Skandal-Stadtrat“ (Bild): „Wenn mir entgegen meiner Erinnerung in der Hitze des Gesprächs diese Aussage, die mir vollkommen fremd und zuwider ist, unterlaufen sein sollte, entschuldige ich mich dafür.“

Ursache der gegenseitigen Anwürfe und Antisemitismus-Vorwürfe: ein paar Tische und Stühle. Seit mittlerweile zwei Jahren will die Familie Zeldman auch für ihr drittes Café in der Innenstadt eine Freischankfläche. Das Problem: Der zuständige Bezirksausschuss (BA) der Innenstadt ist seit je recht gastro-kritisch. Straßen samt den Trottoirs seien öffentliche Räume, wo es nicht nur ums Geld verdienen gehe, heißt es immer wieder. Nicht nur die Zeldmans bekamen diese Haltung zu spüren, aber die Zeldmans waren die Einzigen, die mit Vehemenz für die luftige Erweiterung kämpften. Was aber nicht einfach war: Erst ging der Antrag für die Freischankfläche des Café Siena verloren, dann war kein Platz wegen einer Baustelle, und schließlich passte die „Optik“ nicht. Zu guter Letzt behauptete der BA-Vorsitzende, auch ein SPD-Mann, dass die gewünschte Fläche nach Feuerwehrangaben eine Rettungsanfahrt sei. Die Branddirektion hatte das aber nie gesagt.

Im Sommer kam der SPD-Stadtrat Thomas Lange ins Spiel. Er sollte auf Bitten des BA-Vorsitzenden in der verfahrenen Situation vermitteln, geriet dann aber selbst in den Mittelpunkt der Eskalation. Bei einer Ortsbegehung am 22. Juli soll er Vater und Sohn Zeldman sowie zwei weitere jüdische Kaufleute antisemitisch beschimpft haben. Die Wirte jedenfalls wandten sich nach der Diskussion postwendend an den Münchner SPD-Chef Franz Maget und Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde. Man sei über Langes Äußerungen entsetzt und frage sich, „auch im Hinblick auf den NS-Vergleich des Parteivorsitzenden Ludwig Stiegler vor kurzem, ob das alles eine neue Facette der SPD ist“.

Nicht zuletzt der Brief bewirkte schließlich eine Genehmigung der Open-Air-Erweiterung des Café Siena. Das Kreisverwaltungsreferat als zuständige Behörde überging den BA einfach. Damit war das Ziel zwar erreicht, die Antisemitismus-Diskussion aber nicht beendet. Lange seinerseits behauptet, ihm sei von den Wirten gedroht worden: „Wenn Sie die Tische nicht genehmigen, ist das Antisemitismus.“

Eine Situation, die auch deswegen so delikat ist, weil Lange zwar bekanntermaßen manchmal über das Ziel hinausschießt, aber auch als Verbindungsstadtrat zu der Israelitischen Kultusgemeinde fungiert. Sechs Stunden dauerte eine Diskussion bei OB Ude am vergangenen Mittwoch, die nicht wirklich zu einem Ergebnis führte. Die Zeldmans verließen das Treffen erbost, Lange entschuldigte sich unter Druck und nur für einen Teil der Vorwürfe.

Ergebnislos war auch die Sondersitzung des Ältestenrats am Freitag. Man bedaure die Eskalation, „zu der viele Aussagen der Beteiligten, aber insbesondere Äußerungen von Thomas Lange beigetragen haben“. Allerdings halte man es für „ausgeschlossen, dass Herr Thomas Lange eine antisemitische Einstellung hat“. MAX HÄGLER