: Schreiben ist Graben
Die israelische Autorin Ronit Matalon ist mit 58 Jahren gestorben
Von Susanne Knaul
Am Tag vor ihrem Tod sollte Ronit Matalon den Brenner-Preis für die Geschichte „Und die Braut schloss die Tür“ entgegennehmen. Es liege etwas Ironisches darin, dass sie, genau wie die Heldin der Geschichte, nicht aus ihrem Zimmer komme, so las Talia, Ronit Matalons Tochter, die an ihrer Stelle den Preis entgegennahm, einen Gruß der Mutter. „Aber manchmal hat Abwesenheit nicht weniger Gewicht als Präsenz.“
Diese Woche starb Matalon 58-jährig an Krebs. Israels Literaturkritiker sind sich einig, dass sie zu den bedeutendsten Autoren des Landes gehört. Keines ihrer Bücher blieb ohne Auszeichnung. Exakt, gradlinig, kompromisslos und echt sind einige der zahlreichen Eigenschaften, die Kollegen ihr zuschreiben. In einem Interview von 2016 nannte die Friedens- und Menschenrechtsaktivistin Israel einen Apartheidstaat. Ein „grundsätzlicher Wesenszug“ der israelischen Gesellschaft sei der „Selbstbetrug“.
Als „Diva“ bezeichnet der Literaturprofessor Yigal Schwartz die verstorbene Autorin, stets „tadellos gepflegt bis an die Fingerspitzen“. Dabei stammte Matalon aus armen Verhältnissen und wuchs mit den aus Ägypten eingewanderten Eltern und zwei Geschwistern unweit von Tel Aviv auf. Ihr Vater verließ die Familie, als sie noch ein Kind war. Matalon studierte Literatur und Philosophie in Tel Aviv, berichtete anfangs für die Tageszeitung Haaretz aus den besetzten Palästinensergebieten und unterrichtete später an der Universität in Haifa und der Tel Aviver Filmhochschule Camera Obscura. Ihr literarischer Durchbruch begann mit dem Kinderbuch: „Eine Geschichte, die mit dem Begräbnis einer Schlange beginnt“, das, wie zwei weitere Bücher von ihr, ins Deutsche übersetzt ist.
Ohne Ronit Matalon zu erwähnen, so kommentierte der Literaturprofessor Nissim Calderon im israelischen Hörfunk ihren Tod, lohne es sich nicht über Feminismus zu reden, nicht über den israelisch-arabischen Konflikt oder über Aschkenasen, die Juden mit europäischer Herkunft, und nicht über Misrachim, deren Familien aus islamischen Ländern nach Israel einwanderten. Sie sei die erste authentische feministisch-orientalische Stimme gewesen, wird ihr nachgesagt. Dabei wollte sich Matalon nie in Schubladen ordnen lassen. Identität sei vieles, fand sie. Niemand solle ihr sagen, „wer ich bin“.
Matalon schrieb nur, wenn sie etwas zu sagen hatte, selbst wenn Jahrzehnte zwischen einem und dem nächsten Buch vergingen. „Die unrealistische Novelle ist die realistische Novelle“, sagte sie. „Wer sich nur die Oberfläche ansieht“, werde vermutlich niemals den Drang zum Schreiben verspüren, denn dabei ginge es darum, „zu graben und danach zu suchen, was unter der Oberfläche liegt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen