berliner szenen: Sterne über der Autobahn
Am Vormittag hatte es geregnet. Ich saß in dem orangenen Ruhestuhl und las in dem Waisen-Buch von Kazuo Ishiguro. Meine Nichte hatte es meiner Schwester geschenkt. Jedes Weihnachten lese ich die Bücher der anderen – meist schaffe ich zwei Drittel –, während die anderen in anderen Büchern oder Zeitungen lesend am Tisch sitzen.
Draußen, zwischen den Häusern, war ein Regenbogen. Ich überlegte, ein Foto zu machen, machte es dann aber doch nicht. Dann sind wir noch spazieren gegangen, die mittlere Runde, am Spielplatz vorbei. Ich hatte den Spielplatz als sowjetisch gespeichert, weil ein Spielgerät aussieht wie eine Weltraumrakete. J. sagte, du Blödi, das ist doch eine Milchkanne.
Wenig später sitze ich mit G. im Auto. Wir fahren durch die Nacht nach Hause. Die schwarze Nacht und die ganzen Lichter, der Himmel ist klar, und die Sterne. Ich mag so gerne als Beifahrer Auto fahren. Ich sage, es ist so schön, wieder richtiges Schwarz zu sehen. Und freue mich an dem Nachthimmel, den Sternen, den Lichtern der anderen Autos, der Autobahn und den Sendungen im Deutschlandfunk. Wir hören die ganze Zeit, mehr als drei Stunden, DLF, u. a. einen Beitrag über die Pflegesituation in Deutschland. G. erzählt von einer Weihnachtsdiskussion über Dienstverpflichtungen. Ich sage, die Abschaffung der Wehrpflicht sei ein großer Fehler gewesen. Anfangs redet G. viel und hastig, später versuchen wir herauszufinden, mit welcher Geschwindigkeit das Auto am wenigsten verbraucht. Am Anfang der Fahrt haben wir darüber gestritten, welche Himmel die schönsten wären – mir gefällt der Himmel über Schleswig-Holstein so gut – das liegt am Seeklima –, und er fand den trägen Himmel über Berlin schöner. Aber am schönsten ist der Sternenhimmel über der Autobahn.
Detlef Kuhlbrodt
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