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Jeder Ton sitzt wie angegossen

Balbina lässt mit ihrer durchdesignten deutschen Popmusik das ganze Geraffel um die Volksbühne für einen Abend vergessen

Ballons sind beliebt auf der Bühne, auch bei Balbina Foto: Roland Owsnitzki

Von René Hamann

Kunst darf alles, singt Balbina. Kunst sollte den Staub aus den Zimmern pusten, singt sie, und: Bitte mögt mein Poem oder auch nicht. Ob Kunst wirklich alles darf, darüber kann man ja geteilter Meinung sein; ist aber für diesen letzten Abend vor Weihnachten in der gut besetzten Volksbühne auch egal – Balbina gibt allen Boykottaufrufen zum Trotz ihr Jahresabschlusskonzert, bedankt sich auch eifrig bei der neuen Spielleitung des Hauses, die ihr diese Chance gegeben hat und der man gefälligst auch eine Chance geben sollte, und in ihrem Abschlusslied geht es dann um eine Art Selbstermächtigung, Selbster­mächtigung im Namen der Kunst, und Balbina hat da einiges zu sagen, schließlich ist auch ihre Kunst eine, die Kritik hervorrufen kann und das auch gern tut.

Am Sonntagabend aber spielt sie beinahe jenseits aller Kritik und hat das Haus ziemlich im Griff. Die Bühne ist in einem schönen Designweiß gehalten, es gibt weiße Stehballons, die drei jungen Männer von der Band tragen weiße T-Shirts, und Balbina Monika Jagiels­ka, wie die 34-Jährige eigentlich heißt, kommt in einem umwerfenden weißen Kleid auf die Bühne, das irgendwo zwischen Paris, Milano, Gespenst und OP-Hemd im Krankenhaus changiert (dazu passend trägt sie weiße Turnschuhe und stützstrumpf­ockerfarbene Socken). Das weiße Glockenkleid betont ihre Waden, die hier plötzlich sexy wirken, und gelegentlich zeigt sie auch ihre Knie.

Dieses Designerweiß indes kennt man auch von mobilen Endgeräten oder den neuen Autos deutscher Fabrikation; irgendwann in den nuller Jahren hat sich dieses Weiß schleichend überall durchgesetzt, begleitet allein von einem ebenso glatten Grau und einem Mattschwarz.

Ähnlich funktioniert auch die Musik: Balbina macht deutsche Popmusik, edel designt (und bei Four Music veröffentlicht). Ihre Band spielt perfekt, jeder Ton sitzt wie angegossen; Profis halt. Was Balbina von anderen Protagonisten dieser irgendwie neoliberalen Musik unterscheidet, ist die notwendige Eigenartigkeit. Die Musik klingt einerseits solide und überraschungsarm, radioaffin, designweiß – andererseits aber fast schon überraschend eigen: Naheliegende Vergleiche bleiben weitgehend aus. Irgendwann fühlt man sich vielleicht an ein Coldplay-Stück erinnert („Clocks“, um genau zu sein), auch blitzt mal eine Triphop-Referenz auf, aber das war es dann auch. Zitatpop ist das absolut nicht. Und da wäre natürlich Balbinas Stimme: Die ist tief und gerade noch so seltsam, dass sie über die Musik hinaus interessant ist; dazu passen natürlich auch ihre verschraubten, eigenwilligen Texte: „Oh nein, der Wecker war zu leise/ und jetzt hab ich leider Jahre verschlafen…“

Eine Welt aus Möbeln und Küchengeräten wird in ihren Liedern beschrieben, ein Leben, das Emotionen statt Gefühlen beinhaltet, und ein Ich, dem weitgehend ein Du fehlt, ohne dass das dem Ich selbst groß auffallen mag. Ein Ich auf der Suche: Man könnte natürlich sagen, dass Balbina eine verschraubte Nabelschau betreibt, die vor drei, vier Jahrzehnten noch äußerst unangenehm aufgefallen wäre – während sie damit heutzutage den Zeitgeist trifft. Individualismus, der im Ich stecken bleibt.

Was Balbina von den anderen unterscheidet, ist die notwendige Eigenartigkeit

„Ich lass dich nicht in meine Nähe/ das hinterlässt nur Regenwolken“, singt die gebürtige Warschauerin, die mit drei nach Moabit umgezogen wurde und später in Neukölln reüssierte, im Lied „Die Regenwolke“. Kommt mir nicht zu nahe, wir sind gebrannte Kinder, wir bleiben lieber im Flachen, da ist es weniger gefährlich: Wer kennt diese emotionale Grundhaltung nicht? Und wer sagt, dass sie schlecht sein muss? Bei Balbina kommt immerhin Kunst heraus, die zwar recht prätentiös wirkt hier und da, etwas kunstwillig (und dann wieder musikalisch anpassungsorientiert), aber doch erkennbar.

So singt sie sich mit steif tänzelnden Bewegungen und einer Andeutung von Rap-Moves durch das Set, das vornehmlich aus ihren letzten beiden Alben besteht, „Über das Grübeln“ (2015) und „Fragen über Fragen“ (2017). Das Orchester, das ihr neues Album ziemlich zu fettete, wurde solide von ihrer Band ersetzt.

Am Ende zeigt Balbina, dass sie auch Dramatik kann. Jetzt trauen sich die Stücke auch mal Sperrigkeiten zu. Ihre drei Musiker, die bislang in ihren kleinen Geräteparkzonen verharrten, trauen sich nach vorn; das Publikum zeigt sich dankbar. Das ganze Geraffel rund um die (neue) Volksbühne ist für einen Abend vergessen. Weihnachten kann kommen.

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