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Die schönste Tiefgarage Berlins

Das „ausland“ in Prenzlauer Berg wird 15 Jahre alt. Das inhaltliche Profil des Clubs ist einzigartig, die Formate eint die Lust am Experiment. Drei Mitbetreiber blicken zurück – und nach vorn

Von Jens Uthoff

Ins Ausland geht man, um andere Temperaturen und Temperamente, Klänge und Kulturtechniken, Sprachmelodien und Alltagspraktiken zu erleben. Um in eine unbekannte Lebenswelt ein- und abzutauchen. Oder auch einfach, um Deutschland mal für eine Weile zu entkommen.

Aus ebendiesen Gründen geht man im Prinzip auch ins „ausland“ in der Lychener Straße in Prenzlauer Berg. Der Club, der unter vielen außergewöhnlichen Clubs in Berlin einer der außergewöhnlichsten ist, feiert in diesen Tagen sein 15-jähriges Bestehen – und sein Name passt heute besser denn je zum Programm und zum Anspruch des Kellerclubs, der von einem elfköpfigen Kuratorenkollektiv betrieben wird.

Denn: „In Prenzlauer Berg ist das ‚ausland‘ heute quasi exterritoriales Gebiet“, stellt Gründungsmitglied Conrad Noack im Hinblick auf den Wandel des Bezirks fest. „Welche Ausmaße die Gentrifizierung hier nehmen würde, war uns damals natürlich noch nicht klar. Seinerzeit ging es uns mit der Namensgebung einfach um Grenzüberschreitungen künstlerischer Art“, sagt der 47-Jährige.

Noack sitzt gemeinsam mit Ruth Waldeyer, 44, die ebenfalls zu den Mitgründerinnen zählt und Tobias Herold, 34, der unter anderem für das Literaturprogramm im ausland zuständig ist, inmitten des schlichten, etwa 70 Quadratmeter großen und 5 Meter hohen Raumes mit den kargen, verputzen Wänden, in dem jährlich bis zu 120 Veranstaltungen stattfinden. Neben dem Clubraum beherbergt das ausland eine Bibliothek sowie ein Buch- und Zeitschriftenarchiv.

Besonders sei das ausland wegen seines ungewöhnlichen inhaltlichen Profils, glauben die Betreiber_innen – so fänden Jazz-, Impro- und Echtzeitmusik-Konzerte genauso statt wie feministische Workshops, Lyriklesungen wie Theater und Performances, Ausstellungen wie Metal- oder Noisekonzerte. „Wir passen nirgends richtig rein“, sagt Waldeyer, und wenn diese Behauptung, die Kulturmenschen häufig für sich beanspruchen, für irgendeinen Laden zutrifft, dann ist es das ausland.

Wie sie ihren Club in einem Satz charakterisieren würden? Kurze Denkpause bei den Dreien. „In dem Satz müssten auf jeden Fall die Worte ‚nicht kommerziell‘ und ‚jenseits von Verwertungszwängen‘ vorkommen“, erklärt Noack. „Es ist Kultur, organisiert von Leuten für Leute. Ohne Kulturmanagement-Abschluss, ohne unternehmensartigen Aufbau mit Entscheidern hier und Ausführenden dort, wie in den großen Institutionen. Wer Programm macht, putzt auch – und umgekehrt“, ergänzt Herold. Die gemeinschaftliche Organisation und die Gleichberechtigung im Kollektiv sei ebenfalls wichtig, so Waldeyer. Äußerst treffend fände sie für das ausland die irgendwann einmal aufgeworfene Bezeichnung „die schönste Tiefgarage Berlins“.

Seine Anfänge hat der Club schon im Jahr 2000. Zu dieser Zeit – Prenzlauer Berg hat mit Läden wie dem Knaack und dem Icon noch eine lebendige Clubkultur – veranstalten Teile des Gründungskollektivs Echtzeitmusikkonzerte in der Besetzerkneipe „Anorak“. Es gibt den Gedanken, dauerhaft etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. In der Lychener Straße 60 hatte es zuvor schon einen kleinen Club gegeben („Lychi60“), nun beginnen die Anorak-Leute, dort gelegentlich Veranstaltungen zu machen.

Dabei soll es nicht bleiben. Das Kollektiv sammelt Geld für den Umbau und die Sanierung, und – der wichtigste Part – für einen umfassenden Schallschutz: knapp 20 Zentimeter dick ist die Kalksandsteinwand, die dafür sorgt, dass nichts nach außen dringt. „Uns war wichtig, dass hier Livemusik mit Schlagzeug stattfinden kann“, sagt Waldeyer, „deshalb musste der Kellerraum erst mal rundum schallisoliert werden.“ Unterstützung bekommt man vom Quartiersmanagement, Gelder unter anderem aus der Lottostiftung. Auch wenn das ausland zu dieser Zeit eng mit der Besetzerszene verbandelt ist, habe man sich mit der Ästhetik des Clubs wohl auch etwas „vom Schmuddel der Besetzerkneipe“ lösen wollen, wie Noack sagt.

2002 geht der Betrieb los. Neue Formate werden entwickelt, zum Beispiel die „dehnungen im ausland“, eine Reihe für elektronische Musik, oder „biegungen im ausland“ – eine Impro- und Echtzeitreihe, die es bis heute gibt. Getragen wird der Club vom D.I.Y.-Spirit – nicht zu verwechseln mit Hobbyismus oder Dilettantismus: „Wir haben einen sehr hohen Anspruch an uns selbst. Wir wollen, dass alle Veranstaltungen professionell durchgeführt werden“, erklärt Noack. Die drei erzählen, dass sie sich durchs Clubbetreiben viele Fähigkeiten angeeignet haben, die sie heute in ihren Brotjobs gut gebrauchen können: Noack ist Programmierer, Waldeyer arbeitet als Licht- und Tondesignerin und fürs Radio, Herold veröffentlicht selbst Lyrikbände. Die Arbeit fürs ausland erledigen alle ehrenamtlich.

Das Haus, in dem sie beherbergt sind, gehört dem Verein DaDa Thomyziel, das Verhältnis zu den Hauptmietern und Nachbarn ist gut – Vertreibung muss man derzeit nicht fürchten. Finanziell funktionieren die Veranstaltungen größtenteils über Einzelförderungen, eine dauerhafte staatliche Förderung bekommt das ausland immer noch nicht. „Das wäre schon erstrebenswert und eine Anerkennung dessen, was wir hier an Kulturarbeit leisten“, sagt Waldeyer.

Für seine Programmarbeit wurde das „ausland“ vielfach ausgezeichnet

Viele Veranstaltungen werden auf Projektbasis subventioniert, und das ausland wurde für seine Programmarbeit vielfach ausgezeichnet – zuletzt 2016 etwa „biegungen im ausland“ als Konzertreihe des Jahres durch die Initiative Musik. Es gibt im ausland aber auch Abende, die nur „auf Kasse“ laufen – während einige Formate gut ausgestattet sind, funktionieren andere Veranstaltungen hochprekär. „Da gibt es eine Schieflage“, sagt Herold.

Das größte Missverständnis ist wohl, dass viele das ausland in erster Linie als Musikstätte wahrnehmen. Dabei machen Konzerte nur etwa 50 Prozent des Programms aus – vor allem der Anteil an Lesungen, anderen Literaturformaten und Gesprächen hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Auch die jährliche Veranstaltungsreihe „Pop im Ausland“ (P.I.A.), die an diesem Wochenende über die Bühne geht, ist erst 2015 dazugekommen. „Das Programm verändert sich allein deshalb, weil es von den Menschen abhängt, die den Club machen. Da unsere Besetzung nicht mehr die gleiche ist wie zu Beginn, hat es auch programmatische Verschiebungen gegeben“, sagt Noack. Neben Noack und Waldeyer ist nur noch ein weiterer Mitarbeiter aus der Gründungscrew dabei.

Eines verbindet sehr viele Formate im Ausland: Die Offenheit sowie die Lust am Experiment. Künstler wie die japanische Noise-Künstlerin Maria Jiku, die zur Musik BDSM-Praktiken auf die Bühne bringt, fanden sich in der Vergangenheit genauso im Programm wie ein Konzert der Berliner LoFi-Riot-Grrrl-Gruppe Half Girl oder experimentelle Indietronica von Golden Diskó Ship.

Allein aufgrund dieser Ausrichtung und wegen einer gewissen Trutzburg-Mentalität im heutigen Prenzlauer-Berg-Umfeld versteht man sich auch als politischen Ort. Allerdings würde man beispielsweise nicht einfach Brecht-Abende machen im Glauben, damit dem Anspruch an politische Kunst genüge zu tun. Für Herold ist die Trennung von Ästhetik und Politik wichtig: „Dass sich Kunst mit dem Label des Politischen schmückt, oft auf vordergründigste Weise, ist heute strukturell der staatstragende Normalfall, auch und gerade in Berlin. Mit ernst zu nehmender politischer Arbeit hat das erst mal nichts zu tun.“

Der Name ‚ausland‘ entstand seinerzeit zu einem gewissen Teil auch aus bloßem Pragmatismus: „Sehr wichtig war es, dass der Name mit ‚A‘ anfängt, denn dann stand man in den Veranstaltungskalendern ganz oben“, erinnert sich Noack. Fünfzehn Jahre später hat man sich diesen Platz sehr weit oben wahrlich verdient.

Pop im Ausland/P.I.A.: 16.12., 20 Uhr, Experimental HipHop. Konzert mit Zulu Green, Anthea Caddy, Marta Zapparoli, JD Zazie, 17.12., 20 Uhr Konzert mit Jolly Goods, Tanno Pippi, Angy Lord. Ausland, Lychener Straße 60

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