: Die Naturgesetz-Partei
Schöne Momente mit (6): CSU-Politikerin Gerda Hasselfeldt. Dass zu ihren Wahlkampfauftritten kaum jemand kommt, kann ihr egal sein. Denn in ihrem bayerischen Wahlkreis gilt: Man wählt sie schon, die CSU, da muss man nicht auch noch mit ihr feiern
AUS EICHENAU UND GERMERINGSTEFAN KUZMANY
Das Ende ist nahe. „Jetzt bekommt die Menschheit ihre Quittung“, sagt der Mann mit dem grauen Bürstenschnitt. Am Horizont ziehen dicke Regenwolken auf, gleich geht’s los, aber die Eichenauer CSU lässt sich nicht beirren. Immer neue Bierbänke bauen sie auf, und die Unterhaltungskapelle macht sich bereit zum Aufspielen.
Am Nebentisch sitzt Gerda Hasselfeldt, Direktkandidatin der CSU für den Wahlkreis Dachau/Fürstenfeldbruck, und verzehrt ein Stück Kuchen in Anwesenheit des Eichenauer Bürgermeisters Hubert Jung (CSU). Es sind nicht sehr viele Eichenauer gekommen an diesem Samstagnachmittag, nur etwa 80 eingefleischte CSU-Anhänger, die Familien der Parteimitglieder. Das mag an den dunklen Wolken liegen, die sich von Norden her immer bedrohlicher nähern, oder auch an einer Einstellung der Bevölkerung, wie man sie in Bayern oft vorfinden kann: Man wählt sie schon, die CSU, man muss ja nicht auch noch feiern mit ihr.
Warum man hier auf dem frisch sanierten Marktplatz vor der katholischen Kirche insofern überhaupt eine Wahlkampfveranstaltung mit Lederhosen und Dirndl und Bier und Kaffee und Brathendl und Ponykutsche für die Kinder machen muss, ist schleierhaft. 59,4 Prozent der Erststimmen hat Gerda Hasselfeldt bei der letzen Bundestagswahl gewinnen können, es wäre schon ein Wunder, wenn es am kommenden Sonntag weniger würden, und wenn es gut läuft für Gerda Hasselfeldt, dann sitzt sie demnächst am Kabinettstisch der Angela Merkel und ist zuständig für Landwirtschaft und das, was die Union vom Verbraucherschutz noch übrig lässt. Den Leuten hier im Umland von München geht es sehr gut, wenig Arbeitslosigkeit, wenig Kriminalität, schöne Landschaft, und das hat alles die CSU gemacht, warum sollten sie eine andere Partei wählen?
„Jetzt bekommt die Menschheit ihre Quittung“, sagt der Mann mit dem grauen Bürstenschnitt. „Das ist doch alles hausgemacht.“ Er spricht von der Überschwemmungskatastrophe in New Orleans. Mehr Klimaschutz müsste sein, meint er, aber wie kann man die anderen Staaten dafür gewinnen? Gerda Hasselfeldt kann ihn nicht hören, die Unterhaltungsmusik spielt jetzt sehr laut, und sie ist ins Gespräch vertieft mit dem Bürgermeister, aber was der Mann mit dem Bürstenschnitt sagt, würde sie sicher freuen. Nicht etwa, weil sich ihre Partei mit ihren Programmen für den Klimaschutz so sehr hervorgetan hätte. Sondern weil der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt trotzdem die CSU wählen wird.
Die Wahrheit liegt im Sketch
Es ist ganz so, wie es der bayerische Kabarettist Gerhard Polt in einem seiner Sketche darstellt. Er spricht in der Rolle eines einfachen Landwirts, es ist eine Tirade gegen die Umweltzerstörung und den Raubtierkapitalismus, und nach Minuten der immer höher gesteigerten Erregung ruft er: „Da muss doch was passieren! Da gehört doch eine Revolution her! Und das ist der Grund: Deswegen wähle ich auch dieses Mal wieder CSU.“
Man sitzt also zum Beispiel mit Freunden in einem Schlauchboot und lässt sich die Amper hinuntertreiben, zurzeit hat sie noch Hochwasser – New-Orleans-Feeling. Normalerweise geht es viel gemächlicher – eher Vietnam. Aber jetzt muss man aufpassen, sonst hängt man schnell mit dem Boot in einem Gebüsch und das Boot bekommt ein Loch und säuft ab.
Aber der Martin passt auf. Martin ist selbstständig, er hat ein kleines Biotechnikunternehmen, es ging ihm schon besser, aber es geht ihm immer noch sehr gut. Er hat zwei Kinder. Heiraten will er nicht. Klar wählt er die CSU am Sonntag, sagt er. Und dann erzählt er, was er sich von der Politik wünscht. Eine Ungerechtigkeit ist es, sagt Martin, dass Firmenwagen kaum besteuert werden. Er will, dass Aktiengewinne wie Kapitalerträge besteuert werden müssen. Er wünscht sich, dass Eltern bei Wahlen für ihre Kinder stimmen dürfen. Er will, dass alternative Energiequellen erforscht werden. Und einen Krieg der USA unter Beteiligung der Bundeswehr – das will er auf keinen Fall. Also wählt er CSU. Es ist nicht so, dass Martin blöd wäre, ganz im Gegenteil, aber er hegt eine paradoxe Hoffnung: Die Konservativen stehen zwar nicht für seine politischen Ideen, aber wenn sie erst mal an der Macht sind, ist sich Martin sicher, dann werden sie es anders machen, als sie es jetzt sagen. Eine Haltung, die man in ihrer resignativen Variante eigentlich nur von SPD-Wählern kennt.
Im anderen Boot sitzt Klaus, Elektrotechnikingenieur und Programmierer. Er hat einen pragmatischen Ansatz: spielt mit dem Gedanken, die APPD zu wählen, aber für 50 Euro ließe er sich seine Stimme schon abkaufen. Später geht er runter auf 15 Euro. Niemand schlägt ein.
Parteigänger unter sich
In Germering, nicht weit von Eichenau und schon fast München, hat die CSU am Sonntag vor der Wahl in die Stadthalle geladen. Es sprechen Gerda Hasselfeldt und der bayerische Innenminister Günther Beckstein. Auch hier, wie am Tag zuvor in Eichenau, sind vor allem die überzeugten Parteigänger gekommen. Es sieht am Anfang nicht so aus, als würde die Halle voll werden. „Au weh, die haben großzügig bestuhlen müssen“, murmelt der Polizeichef. Am Ende werden es etwa 300 Menschen, gemischtes Publikum. Viele junge Leute sind da, die Junge Union trägt Leibchen, die auf den ersten Blick an die SPD erinnern: Bei den Jusos steht „Gerd“ auf dem T-Shirt, in der lokalen CSU-Variante ist es „Gerda!“. Die Gerda, Bundestagsabgeordnete mit großer Zukunft, ist leider keine große Rednerin. Links und rechts hält sie sich am Pult fest, Gestik findet nicht statt, und der Inhalt ihrer Ansprache lässt sich kurz zusammenfassen: Der rot-grüne Spuk muss ein Ende haben, nicht Schauspielerei, Phrasen und Populismus sollen in Deutschland herrschen, sondern Angela Merkel.
Beckstein verteidigt Abendland
Ganz anders Günther Beckstein. Zwar ist auch er nicht für sein überbordendes Charisma bekannt, zwar wirkt er in der direkten Betrachtung noch etwas verhutzelter als im Fernsehen, als sei ihm sein Jackett zu groß und die Ärmel zu lang, aber das macht nichts. Erstens ist er hier unter Freunden. Und zweitens macht es ihm sichtlich Freude, zu sprechen. Er weiß genau, was beim Publikum ankommt. Den Großteil seiner Rede widmet Beckstein also der Verteidigung des Abendlandes gegen den EU-Beitritt der Türkei. Dass eine Unionsregierung dabei nicht sehr viel zu sagen hat, ist in Germering völlig wurscht.
Dann erfreut er die Zuhörer mit Anekdoten aus seiner Amtsführung, wie er beispielsweise einen Imam zuerst besucht und ihm dann die Polizei vorbeigeschickt hat, weil ihm der Imam gesagt habe, Herr Beckstein, noch können Sie freiwillig zum Islam konvertieren, in ein paar Jahren machen wir das zwangsweise. Der Imam lebt nicht mehr in Deutschland, das Publikum applaudiert. Der ehrliche Beckstein kann aber leider nicht anders, als auch hier Otto Schily seinen Freund zu nennen, und die harscheste Kritik am amtierenden Bundesinnenminister, wenn man das so nennen will, besteht aus dem Satz: „Ich gönne ihm seinen Ruhestand.“ Noch eine Woche bis zur Wahl, Beckstein ruft seine Leute noch einmal auf, um jede Stimme zu kämpfen.
Am Abend, beim Schafkopfen, macht Martin ein Angebot. Er schaut sich jetzt einmal dieses Internet-Angebot an, den Wahl-O-Mat, und was dabei herauskommt, das wählt er dann. Sein Wort drauf. Eine Viertelstunde später ist Martin wider Willen zum SPD-Wähler konvertiert. Es ärgert ihn sehr. Aber er kann nicht anders, er hat es versprochen. Vielleicht kauft er jetzt doch noch die Stimme vom Klaus. Für die CSU.