: Unterschiedliche Zeitzonen
Kolonialgeschichte als Thema beim Festival „Republik Repair“ im Ballhaus Naunynstraße
Von Astrid Kaminski
Das Theater als Reparaturwerkstatt: Zweieinhalb Monate lang setzte sich das Theater Ballhaus Naunynstraße in seinem Festival „Republik Repair“ mit den Kollateralschäden kolonialer Politik und Verbrechen auseinander und am Ende steht eine scheinbar einfache Geste. „Unrestricted Contact“ heißt das Abschuss-Tanzstück der Grupo Oito, es befragt zunächst gemeinsames Tanzen als uneingeschränkten Kontakt und feiert dann.
Eigentlich ist das eine Aufwärmübung, nicht wegzudenken aus dem Werkzeugkasten des inter- und transnational aufgestellten zeitgenössischen Tanzes. Vielleicht wird sie aber auch allzu selbstverständlich vorausgesetzt. Denn Zusammenkommen von kulturell unterschiedlich geprägten Körpern, Verstehen ihrer unterschiedlichen Codes, persönliche Empfindlichkeiten, gesellschaftliche Zuschreibungen, Tabus und Enttabuisierungspraktiken sind ein Verhandlungsprozess zwischen den Körpern und ihren Träger*innen. Er braucht Aufmerksamkeit, Arbeit, Gespräch, Mediation, Meditation oder sogar Therapie. Das alles geschieht meist hinter den Kulissen.
Nach den ebenfalls „Schwarzen Perspektiven“ gewidmeten Spielzeit-Auftakt-Festivals „Black Lux“ und „We are tomorrow“ stand für „Republik Repair“ ein Zehnpunkteplan, der sich an einem Forderungskatalog karibischer Staaten zur Überwindung kolonial verursachter Missstände orientiert. Auf den deutschen Kontext angewendet, entschied sich die kanadische Kuratorin Karina Griffith zum einen für den Fokus auf die langen Verhandlungen um Entschuldigungs- und Reparationsleistungen im Bezug auf den deutschen Völkermord an den Herero und Nama in Namibia. Zudem konsultierte sie die Archive: von Straßennamen bis hin zu Oral History. Die entstandenen künstlerischen Arbeiten orientierten sich dabei am Zehnpunkteplan. „Unrestricted Contacts“ entschied sich für eine Annäherung an Punkt acht, „Psychological Rehabilitation“, der sich mit einer Aufarbeitung historischer und gesellschaftlicher Gewalt gegen schwarze Menschen auseinandersetzt.
Diese politische Programmatik hat ein altes Problem: Indem sie das Politische über das Ästhetische stellt, läuft sie Gefahr, Gesinnungsstatements statt Kunst zu produzieren. Dieser Gefahr entzieht sich auch die Arbeit der Grupo Oito nicht völlig, aber doch weit genug, um als Choreografie an sich zu bestehen. Und deren Stärke liegt vor allem in der Tanzsprache und dem Umgang mit dem Raum. So ist das Betreten des cypherartigen Aufführungsrondells durch ein Feld von Origami-Blumen bereits eine Reise über gefaltete Zeit. Zeitebenen werden sich öffnen und schließen, überlagern und gegenüberstehen. Eine Uhr, an der sich nicht die Zeiger, sondern die Ziffern, sprich die acht Tänzer*innen, bewegen. Jede*r trägt eine andere Zeit in sich.
Perfekt bespielt wird das uhrenrunde Setting, hinten und vorne heben sich auf wie Vergangenheit und Gegenwart. Immer mehr Reaktionsketten entstehen zwischen den Tänzer*innen, ein schneller Affekte-Austausch mit Sprüngen, Ausweichen, Abtauchen, Reibungsenergie, abgelöst von Reflexionspausen, die wieder neue Begegnungen ermöglichen. Über die meditativen Außenpositionen genauso wie durch die Bewegungsenergie findet sich dieses Off-Balance-Miteinander schließlich immer mehr, bis sich die Gruppenchoreografien, die Zeitgenössisches und Traditionelles, Clip- und Urban Dance mischen, in ritualistisch wirkende Erschöpfungstänze steigern. Dieses Aufgehen in einem gemeinsamen Körper hat ganz klar etwas Utopisches. Aber es macht glücklich, Tänzer*innen wie Publikum.
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