Im Licht

Der thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul inszeniert mit „Fever Room“ eine Reflexion über das Kino in der Volksbühne. Was wieder die Frage stellt, ob das eigentlich noch Theater ist

Kino und noch ein bisschen mehr: „Fever  Room“ Foto: Kick the Machine Films

Von Ekkehard Knörer

An der Grenze von Traum und Wirklichkeit liegen die Welten, die der thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul dem Kino erschließt. Über einem Friedhof lagen und wachten und schliefen in einem Krankensaal Soldaten in „Cemetery of Splendour“, dem letzten Spielfilm. „Fever Room“ setzt, mit zwei der Darstellern aus dem Film, Jen und Itt, das Szenario zunächst fort. Jen und Itt liegen und schlafen und sprechen, erinnern sich mit geschlossenen Augen zu Bildern, die am Betrachter vorbeiziehen. Ein Hund, der Fluss, eine Bananenstaude, eine Statue, ein anderer Hund, manches noch weiter, alltägliche Bilder, nach der assoziativen Logik des ­Erinnerns sortiert. Jens Stimme sagt dazu, was man sieht. Dann dieselben Bilder noch einmal, Itt spricht. Und verstummt.

Hier könnte man noch denken, man sitze mit „Fever Room“ – am Donnerstag hatte die Inszenierung ihre Berlin-Premiere – im Kino, als das die Dercon-Volksbühne, an der manche das echte Theater vermissen, nun also auch noch auftreten kann. Zwar ist man auf dem Boden oder auf einer kleinen Tribüne hinter dem Vorhang des Theaters, also auf dessen Bühne platziert. Eine Leinwand hat sich vor dem Vorhang, auf dessen Hinterseite man blickt, von oben herabgesenkt. Auf sie wird per ebenfalls herabgelassenem Bea­mer das Bild projiziert. Dann kam eine zweite Leinwand dazu, sie liegt über der ersten. Dann senkten sich rechts und links zwei weitere aus dem Theaterhimmel herab.

Auf allen vier Leinwänden ging der Film weiter, zu Eindrücken von einer Flussfahrt, Bildern aus einer Höhle, pulsierende Musik, dazu das Wasser, man weiß nicht genau, wo es hingeht, an welchen Ort man hier fortgeträumt wird, eine doppelte Kamerafahrt am Ufer entlang. Dann das Dunkel einer Höhle, einer findet Skulpturen, Schneckengehäuse, das wird auf die vier Leinwände fragmentiert.

Das ist nicht mehr Kino, sondern sehr viel eher das, was man aus den Black Boxes der Kunsträume kennt. Auch hier ist Weerasethakul schon lange zu Hause, an genau dieser Grenze zwischen Kino und Kunst.

Fever Room Die nächsten Vorstellungen von Apichatpong Weerasethakuls Kino-Inszenierung in der Volksbühne finden erst wieder im nächsten Jahr statt, vom 26. bis 28. Januar.

Filmmarathon Anlässlich der Berlin-Premiere von "Fever Room" präsentiert die Volksbühne eine komplette Filmretrospektive mit den Arbeiten des thailändischen Regisseurs. Der 24-Stunden-Filmmarathon beginnt am Samstag um 21 Uhr in der Volksbühne, um Mitternacht wechselt man ins Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz. Vor dem Start des Filmprogramms finden sich Apichatpong Weerasethakul und Volksbühnen-Intendant Chris Dercon um 19 Uhr im Roten Salon zum Gespräch.

Apichatpong Weerasethakul hat seinen Abschluss für Film an der Kunsthochschule in Chicago gemacht. Nichts an den Grenzverläufen zwischen den Künsten verstand sich für ihn je von selbst. Er hat die Goldene Palme in Cannes gewonnen, parallel eher installative Werke in Ausstellungen präsentiert; er ist auch mit den Traditionen des Experimentalfilms vertraut, dessen Prinzip oft in der praktisch-theoretischen Zerlegung des Kinos in seine Einzelteile bestand: Kamera, Leinwand, Kinosaal, Licht, Flicker, Repräsentation.

Nach rund fünfzig Minuten ist fürs Erste Schluss mit der Kinovorführung. Und auch das Dispositiv Kunst löst sich auf. Die Leinwände ziehen sich wieder nach oben zurück. Es wird für Momente ganz dunkel. Der Vorhang geht auf, Trockeneisnebel treiben aus der Tiefe des Zuschauerraums heran. Eine Laterne oder etwas dergleichen, ein Licht jedenfalls, flackert. Dann das gebündelte Licht eines Projektors, das zentralperspektivisch gefluchtet die Trockeneisnebel zu bespielen beginnt. Es wird urplötzlich kosmisch. 3-D-Kino der besonderen Art, nicht auf eine Leinwand gebeamt, sondern als Kegel-Lichtspiel.

Das Licht spielt mit der Tiefe des Raums, macht sie plastisch, wir auf der Bühne sitzen da und staunen, zwischendurch vom hellen Strahl auch geblendet, in die aus Licht und Nebel geformten, mal flächigen, mal kegelförmigen, mal schwarz-weißen, mal bunten Bilder hinein. Die meiste Zeit bleibt es ab­strakt, aber einmal figurieren sich auch dunkle Gestalten wie aus Höhlentiefe. Das ist schwer zu beschreiben, pretty trippy, man muss es erleben.

„Fever Room“ ist Kino, das, abstrakt und sinnlich zugleich, von sich zu träumen beginnt. Es nutzt dafür das Theater und seinen Raum.

„Fever Room“ ist Kino, das, abstrakt und sinnlich zugleich, von sich zu träumen beginnt

Was hier geschieht, ist eigentlich einfach: Das Licht, ohne das im Kino nichts geht, bespielt nicht die Leinwand, sondern macht sie sich selbst: Die Projektion wird zur Leinwand. Das Licht reflektiert, with a little help from its friend, dem Trockeneisnebel, (über) das Kino. Wir im Zuschauerraum auf der Bühne sind mittendrin und werden von dieser spektakulären Light-Show berührt und ergriffen.

Wer den Eröffnungsabend der Dercon-Volksbühne besucht hat, wird sich an den gebündelten Lichtstrahl auf Anne Tismers roten Mund erinnern. Auch Walter Asmus’ Beckett-Inszenierungen waren aus Licht und Dunkelheit modelliert. „Fever Room“ erweist sich als erstaunlich verwandter Randgang. Aber ist das alles überhaupt noch Theater? Das ist die Frage, die sich die Volksbühne in ihren neuen Anfängen insistent stellt.

„Fever Room“ gibt keine Antwort, aber ist diese Frage in denkbar überzeugender Gestalt.