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Sie werden einfach nicht konform

Die Gebrüder Alan und Richard Bishop kommen für ein Konzert nach Köln

Von Lars Fleischmann

Aus der Zeit gefallen sein, heute ist dieser Satz meist negativ konnotiert. Gründe, warum dem so ist, gibt es genug; aber manchmal strahlt eine Ansammlung von Anachronismen auch etwas Schönes aus. Wie am Mittwochabend im Kölner Club „Blue Shell“, dessen Interieur selbst wie ein Artefakt aus der längst vergessenen New-Wave-Zeit wirkt. 1979 eröffnet, in Blau und Rot innen gehalten, verwinkelte Architektur, alles erinnert an alte Rock­abende. Noch heute beheimatet das „Blue Shell“ mehrmals die Woche Konzerte für Gitarrenrock.

Hier riecht es jedoch am Mittwoch nicht nach Zigaretten und abgestandenem Bier, sondern nach frisch gebrühtem Kaffee. Der Männeranteil im Laden ist hoch, der Altersdurchschnitt jenseits der 45. Auch ein Publikum altert, und an diesem Abend weniger mit dem Club selbst als mit dem Gastgeber.

Experimenteller Post-Punk

Das kleine Label Unrock aus Krefeld bittet zum 25-jährigen Jubiläum, und alte Weggefährten, aber auch einige Neuankömmlinge sagen Danke für ein Vierteljahrhundert „Special Interest“-Rock. Mastermind Michael Stahl hat zum Anlass eine ganz besondere Band eingeladen: Das US-amerikanische Clandestine Trio, das an diesem Abend zum gekonnten Kopfnicken und Schwelgen einlädt, ist insofern einmalig, als es eben nur ein einziges Mal in Europa auftreten wird.

Freejazz-Schlagzeuger Chris Corsano wirkt als 42-Jähriger fast jugendlich in dieser Runde. Die beiden anderen gut 60-jährigen Spießgesellen federn das ab. Es sind die Gebrüder Alan und Sir Richard Bishop, die zwischen 1982 und 2007 in der legendären Outrock-Band Sun City Girls spielten.

Zu Ehren des Labelbetreibers sind die Bishop-Brüder extra eingeflogen. Immerhin hatten sie ihr letztes Konzert als Sun City Girls auch für Unrock gegeben, bevor Schlagzeuger Charles Gocher kurz danach an Krebs starb. So setzte auch das Clandestine Trio auf aktualisierte Versionen von Sun-City-Girls-Material; mit dem nötigen Hauch Freeform und Im­provisation, die ein Chris Corsano am Schlagzeug mitbringt. Zwei Tage schloss man sich zuvor in Krefeld im Proberaum ein und schaffte sich den Kram drauf.

Von Baustelle ist an diesem Abend gar nichts zu merken. Gekonnt wird ein Repertoire aus experimentellem Postpunk („Vomiting Diamonds“) und jazz-induziertem Prog-Rock („Radio Morocco“) abgefeuert, immer mit der bekannten Note „Exotismus“, die meist aus nahöstlich angehauchten Gitarrenläufen besteht.

Dass die Bishops zeitlebens nicht mehr in die Konformität überführt werden können, beweisen sie gleich mehrfach: Wenn sie ihre zappaesken Wort­eskapaden („Imp Speak“) vorführen oder wenn Freeform-Krach („Tripping on Krupa“) erzeugt wird. Alles klingt so „aus der Zeit gefallen“ wie aktuell und wichtig, denn auch heute zeigt sich das Duo (das nun ein Trio ist) krawallig; eine Note, die in durchgeplanten Bühnenshows immer häufiger fehlt. Da darf eine gekonnte – und wohlgemerkt charmante – Publikumsbeschimpfung nicht fehlen.

Eine Stunde der Zeitlosigkeit; denn wirklich tolle Musik altert nicht etwa gut, sondern gar nicht.

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