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Beauty-Tipps für Androiden

„Rasp Your Soul“: Die Choreografin Kat Válastur knüpft im HAU an ihre körperlichen Zukunftsvisionen an und tritt dabei so konfrontierend wie beharrlich auf der Stelle

Von Astrid Kaminski

Positiver Post- und Transhumanismus gehen davon aus, dass künstliche Existenz in einem Verhältnis zum Menschen wie das Kind zu seinen Eltern steht. Ziel ist es, die Vorbilder zu überwinden und selbst an die Spitze der Evolution zu gelangen. Bei der Choreografin Kat Válastur dauert der Zustand der Infantilität jedoch an. Etwas ermüdend lang zwar, aber lang genug, um mit jenen existenziellen Fragen konfrontiert zu werden, denen der Alltag gerne ausweicht: Was ist Seele? Und vor allem: Wie sehr hängen wir an ihr?

Programmatisch heißt die neue Arbeit von Kat Válastur am HAU Hebbel am Ufer dann auch: „Rasp Your Soul“, rasple oder feile deine Seele. Dieser pastoral-provokative Imperativ macht nicht gerade Theaterlaune, ist als Direktiv der Blickrichtung aber doch ganz brauchbar.

„Rasp Your Soul“ nimmt, im etwas enttäuschend dekorativ gestalteten Bühnenraum von Leon Eixenberger, mit der Einübung in Zustände des Posthumanismus ein Thema auf, das schon in den letzten Arbeiten von Válastur präsent war und das die Tanz-Performance-Szene derzeit generell fasziniert. Interessanterweise geht es dabei meist weniger um Mensch-Maschinen-Begegnungen, weniger um eine künstliche Körpererweiterung als um den ganz konkreten Versuch, mittels eines analog gesteuerten Körpers ein Maschinenkörperdasein oder bestimmte Aspekte davon zu simulieren. Die Imagination des digitalen Körpers erweitert also das analog-physische Vokabular.

Aber es gibt auch Ausnahmen: So manipuliert etwa der Choreograf Choy Ka Fai den Tänzerkörper direkt durch elektrische Impulse. Kat Válastur entwickelte dagegen eine Bewegungssprache, die wie eine aneinandergesetzte Reihe von minimal zu langsam abgespielten Stop-Motion-Bildern wirkt oder aber auch wie eine permanent durch den Zeitraffer betrachtete Bewegungsabfolge.

Die Übergänge zwischen den einzelnen Eckpositionen sind nicht sichtbar, und trotzdem gibt es dazwischen diese minimalen Schnittstellen und minimalen Stopps, die das scheinbar Technizistische betonen. Diese Technik beherrscht die Choreografin nicht nur selbst mit unwahrscheinlicher Präzision, sondern das tun auch einige ihrer Performer*innen.

Nachdem Ixchel Mendoza Hernandez in der Anfang des Jahres am HAU gezeigten Werkschau „We were better in the future“ noch organisch anmutende Bewegungen zeigte, die wie eine Serie von Nachtaufnahmen in einem Gewächshaus wirkten, scheint Enrico Ticconi, dem das Solo „Rasp Your Soul“ auf den Leib geschneidert ist, im elastischen Gummileib eines Androiden mit simulierter Haut zu stecken.

Die Künstlichkeit der Haut wird durch ein einfaches, aber faszinierend wirkendes Mittel hergestellt: Ticconi trägt ein Oberteil aus hautfarbenem Nylonstoff, ähnlich einer Seidenstrumpfhose. Das Kostüm kann aber bei zunächst schwachem Licht nicht identifiziert werden, es schafft erst einmal einen befremdlichen Eindruck: Ist das nicht ein Faltenwurf zu viel, den die Haut da im Nackenbereich macht, ist sie zu groß? Ja, sie wirkt etwas zu groß, diese Haut, weniger anschmiegsam als die echte, und diese minimale, zunächst nicht einzuordnende Differenz schafft einen maximalen Effekt des Befremdens. „This is good for your skin“, spricht das Soundsystem fast gegen Ende zum Androide-Probanden. Was konkret gemeint ist, wird nicht deutlich, nur dass Beauty-Tipps für künstliche Existenzen auf etwas andere Effekte zielen als für menschliche.

Verfremdungseffekt: Ja, sie wirkt zu groß, diese Haut, weniger anschmiegsam als die echte

Das Verhältnis zwischen Proband und Surround-Sound ist als Feedbacksystem angelegt. Mal erzeugt der Androide Geräusche, die das System in „konkrete“ Erfahrungen übersetzt: Aus Zischen wird ein starker Wind in den Boxen – der neue Mensch hat offensichtlich ein Wettersignal gegeben. Dann wieder reagiert das System auf seine Äußerungen mit Optimierungsabsichten. Wenn er etwa nach affenartig ausladenden Arm-Gehschwüngen später in kaugummiartige Ausstülpbewegungen verfällt, fragt es zurück: „What?“

Da muss anscheinend noch nachjustiert werden. An anderer Stelle werden offensichtlich Reflexe des Jasagens trainiert. Ein frisch geöffnetes Dosengetränk wird geräuschhaft simuliert, was neben Jubeln und Siegerposen auch Orgasmusstöhnen und begeistertes Kindergequietsche auslöst. Die Palette an Genuss-Reaktionen ist groß, aber eine adäquate scheint nicht dabei zu sein. Auch die Beiß- und Appetit­reflexe an Bambusstöcken abzuarbeiten, scheint noch nicht die ultimative Lösung.

Dieses Betonen der Infantilität des Probanden und der Sinnlosigkeit seines Handelns lässt sich nicht anders als posthumanismuskritisch lesen. Die Schwäche dabei ist, dass „Rasp Your Soul“ zwar die Frage nach dem Sinn eines „Bauplans für die Seele“ aufwirft, sich aber auch statisch an einem einzigen imaginierten Zustand festbeißt.

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