Baseball Is Great Again

Erstmals konnten die Houston Astros die World Series gewinnen. Das Finale der MLB bot alles, was sich Vermarkter von einem solchen Spektakel erhoffen

1. November 2017: Der Moment, auf den Houston schon immer gewartet hat Foto: imago

Von Thomas Winkler

Am Ende hielt diese an dramatischen Wendungen und irritierenden Windungen, an unglaublichen Comebacks und verrückten Geschichten nicht eben arme World Series noch einen weiteren emotionalen Twist bereit und brachte eine ehemalige Miss Texas zum Weinen: Während um ihn herum seine Teamkollegen von den Houston Astros ihren 5:1-Erfolg im siebten und entscheidenden Spiel der Finalserie gegen die Los Angeles Dodgers feierten, brach Shortstop Carlos Correa ein Fernsehinterview ab, zog einen Ring aus der Hosentasche, ging in die Knie und hielt um die Hand seiner Freundin Daniella Rodriguez an. Bevor die ihm um den Hals fiel, entfuhr ihr ein „Oh, my god!“

Oh, mein Gott: Frau Rodriguez’ Kommentar könnte auch als Motto über der ganzen diesjährigen World Series stehen. Seit dem Jahr 1903 wird die Endspielserie der Major League Baseball (MLB) ausgespielt, aber nur noch Weltkriegsveteranen dürften sich an eine erinnern, die dermaßen unterhaltsam war.

Zwei der sieben Spiele wurden erst in der Verlängerung entschieden, die anderen waren allesamt eng und spannend. Es gab Spiele zu bestaunen, in denen die Pitcher und die Defensive dominierten, aber auch wahnwitzige Thriller wie Spiel Nummer fünf, das sieben Home Runs, ständige Führungswechsel und ein nie gesehenes dramatisches Hin und Her mit Siegestaumel und Verzweiflung im Minutenwechsel zu bieten hatte, bevor die mit fünf Stunden und 17 Minuten längste Begegnung der World-Series-Geschichte mit einem 13:12-Erfolg der Astros in der Verlängerung doch noch zu einem Ende kam.

„Physisch und emotional erschöpfend“, fand nicht nur George Springer, der überragende Centerfielder der Astros, die Endspielserie: „Es war eine wilde Serie, eine irre Serie mit diesen emotionalen Ups und Downs, die ich niemals vergessen werde.“

Das längste Spiel aller Zeiten war nicht der einzige World-Series-Rekord, der aufgestellt wurde: Mit 25 Home Runs wurden so viele wie noch nie über den Zaun geschlagen. Allein fünf davon gingen auf das Konto von Springer, der damit die Bestleistung der New-York-Yankees-Legende Reggie Jackson einstellte und folgerichtig zum MVP, zum wertvollsten Spieler der Finalserie, gewählt wurde. Clayton Kershaw, der wohl beste Pitcher seiner Generation, stellte mit 33 Strikeouts einen neuen World-Series-Rekord auf, konnte aber die Niederlage seiner Dodgers nicht verhindern. Und Geschichte wurde geschrieben: Die Houston Astros gewannen den allerersten Titel in ihrer 53-jährigen Geschichte.

Vor allem aber wurden Geschichten geschrieben: So beschwerten sich die Pitcher beider Mannschaften darüber, der Lederbezug der extra für die World Series in Costa Rica produzierten Bälle sei entschieden glatter als in der regulären Saison. Das mache es schwerer, dem Baseball den nötigen Drall mitzugeben und nahezu unmöglich, den gegnerischen Schlagmann zu übertölpeln. Messungen bestätigten zwar den Verdacht der Pitcher, aber die Verantwortlichen der MLB stritten ab, sie hätten die Beschaffenheit der Bälle verändern lassen, um mehr zuschauerfreundliche Offensive und vor allem die beim Publikum so beliebten Home Runs zu provozieren. „Der einzige Unterschied ist, dass die Prägung für die World Series in Gold ist“, behauptete ein MLB-Sprecher.

Die vielen Home Runs locken die Zuschauer in die Stadien. Aber sie weisen auch auf ein Dopingproblem hin

Für eine weitere Kontroverse sorgte Yuli Gurriel. Nachdem der First Baseman der Astros im dritten Spiel einen Home Run gegen den japanischen Dodgers-Pitcher Yu Darvish geschlagen hatte, ertappten ihn Fernsehkameras auf der Bank, wie er seine Augen mit den Fingern zu Schlitzen verzog und lachte. Der aus Kuba stammende Gurriel erklärte die Schlitzaugengrimasse eher schlecht als recht damit, dass er bislang wenig Erfolg gegen asiatische Pitcher gehabt habe, entschuldigte sich aber schnell bei Darvish, der diese Entschuldigung allerdings als „vollkommen unnötig“ ablehnte und sich stattdessen großherzig gab: „Natürlich war es respektlos, was er getan hat, aber wir sind alle nur Menschen und machen Fehler.“ Die MLB verhängte gegen Gurriel eine Sperre von fünf Spielen für die rassistische Geste, verlegte die Strafe aber salomonisch in die kommende Spielzeit, um den sportlichen Wert der World Series nicht zu beeinträchtigen. In Spiel Sieben schließlich fand die Geschichte ihr Ende, als Gurriel, bevor er zum Schlag schritt, demonstrativ seinen Helm vor Darvish zog.

Kurz und gut: In den Headquarters der MLB in der schicken Park Avenue in New York dürften die Sektkorken knallen. Diese World Series war genau das Schaufenster, das sich die Liga gewünscht haben dürfte. Zwei gute Mannschaften mit etablierten Aushängeschildern wie Kershaw und kommenden Stars wie Springer lieferten sich ein spektakuläres Auf und Ab über sieben dramatische Spiele.

Nicht nur produzierte diese World Series die besten Fernsehquoten seit Jahren, sie lenkte auch ab von Problemen, die die MLB bislang noch ignoriert: Vor allem die explodierende Zahl von Home Runs ist zweischneidig. Einerseits locken sie die Zuschauer in die Stadien, andererseits deuten sie auf ein Dopingproblem hin. In der regulären Saison wurden 6.105 Home Runs geschlagen, so viele wie nie zuvor in 141-jährigen Geschichte der Major Leagues. Der alte Rekord, der um mehr als 400 Homers verbessert wurde, stammte aus dem Jahr 2000, der Hochzeit des Anabolikamissbrauchs im Baseball, als es in der MLB noch keinerlei Dopingtests gab. Aber davon spricht gerade niemand. Erst einmal gilt es eine ganz andere Hochzeit zu feiern.